Das angewinkelte Knie verschwindet unter dem weiten, hellen Kleid, Julia Franz Richter sitzt hinter der Wiener Zacherlfabrik. Sie hält eine Zigarette in der Rechten und bläst den Rauch in die Luft. Es ist ein flirrend heißer Sommertag, die Bäume in Döbling spenden glücklicherweise Schatten.

In den vergangenen Stunden ist die Schauspielerin für das RONDO-Shooting ziemlich unaufgeregt von einem Herbstoutfit ins nächste gewechselt. Von Ledermantel und Wollhaube in Schal und Overall. In dem luftigen Jil-Sander-Kleid aber wirkt die gebürtige Niederösterreicherin endlich so entspannt, als würde sie gerade eine Drehpause einlegen.

Kleid von Jil Sander.
Michael Brus

Oder eine Szene aus Katharina Mücksteins Coming-of-Age-Film L’Animale aus dem Jahr 2018 wiederholen: Die Rolle der Carla war Richters erster richtiger Auftritt im Film, die Schauspielerin zog im grünen Supermarktkittel mindestens genauso lässig an der Zigarette wie an diesem Shootingtag.

Zeit zum Durchschnaufen hatte die Niederösterreicherin in diesem Sommer weniger. In den vergangenen Wochen ist die 30-Jährige vor der Kamera von Franziska Pflaum gestanden. Meerjungfrauen weinen nicht heißt die österreichische Komödie, für die Richter gemeinsam mit Kollegin Stefanie Reinsperger farbige Flossen angelegt hat. "Ich finde es wichtig, neben eher tragischen Stoffen ein Gegengewicht zu finden und in andere Richtungen zu experimentieren", erklärt die Schauspielerin, die seit 2020 zum Ensemble des Wiener Volkstheater gehört.

Männerrollen am Theater

Engagiert wurde sie von dem deutschen Intendanten Kay Voges – im Schauspielhaus Graz hatte Richter zuvor in Männerrollen auf sich aufmerksam gemacht: als Professor Robert in Franz-Xaver Mayrs geschlechterkonträr besetztem Heldenplatz, in Claudia Bossards Inszenierung von Dürrenmatts Die Physiker bewies sie als Newton komödiantisches Talent.

Oberteil und Rock von Miu Miu, fliegende Tülljacke von Dries Van Noten.
Foto: Michael Brus
Schal von Dries Van Noten und Kleid von Petar Petrov.
Michael Brus

Dass der Theaterraum für Julia Franz Richter (wie alle Erstgeborenen in der Familie ihres Vaters trägt sie den Zweitnamen Franz) eine besondere Rolle spielt, spürt man im Gespräch sofort. An ihm reize sie das Prozessorientierte: "Man startet gemeinsam und kann im besten Fall sechs Wochen lang experimentieren und diskutieren", erklärt die Niederösterreicherin, die im Dezember in ich hab geblutet vor freude, einem Ernst-Jandl-Abend unter der Regie von Claudia Bauer, am Volkstheater zu sehen sein wird.

Overall und Schuhe von Prada.
Michael Brus

Mittlerweile ist die Schauspielerin immer öfter auf der Leinwand zu sehen. 2020 gewann sie den Schauspielpreis der Diagonale für ihre Rolle in Der Taucher von Günter Schwaiger, die Darstellung einer 18-Jährigen, die ihre Mutter gegen die Gewaltausbrüche ihres Mannes zu schützen versucht. Im Oktober wird sie in Marie Kreutzers Landkrimi Vier, einer TV-Produktion für den ORF, als Ermittlerin zu sehen sein.

"Wo will ich hin?"

Es sei nicht selbstverständlich, als Schauspielerin so viel arbeiten zu können, dessen ist sich Richter bewusst. "Oft wird man aber einer Marktlogik folgend für bestimmte Rollen gebucht. Ich frage mich bei deren Auswahl schon: Wo will ich hin?" Sicher ist, das Glattgebügelte interessiert die auch als Literaturwissenschafterin ausgebildete Schauspielerin nicht. Auf der Bühne, erklärt Richter, die eine Schwäche für die Filme von Agnès Varda hat, beeindruckten sie die Performerin Florentina Holzinger, aber auch Sandra Hüller oder Christiane Rösinger. "Sie haben für mich, auf ganz unterschiedliche Weise, etwas Radikales und Widerspenstiges in ihrer Arbeit."

Julia Franz Richter sagt auch: "Oft werden in Fernsehproduktionen Inhalte eher leicht verständlich transportiert. Ich bin der Meinung, dass man Zuseher:innen mehr zutrauen kann" – die Schauspielerin spricht während des Interviews überlegt und konsequent gendergerecht. Dass die Formulierungen im Text so stehenbleiben, ist ihr wichtig.

Auf der Social-Media-Plattform Instagram hingegen gibt sich die 30-Jährige zurückhaltend. Auf ihrem Profil geht es nicht um eigene Filmstarts oder gar glamouröse Auftritte auf dem roten Teppich, Richter ringt nicht um Likes und Applaus. Die Bilder der Schauspielerin erzählen zum Beispiel von Reisen nach Armenien und Georgien.

Pullover von Jacquemus, Rock von Chloé und Stiefel von Louis Vuitton.
Foto: Michael Brus
Haube von Miu Miu, Hemd von Fendi, Hose von Christina Seewald, Mantel und Stiefel von Chanel.
Foto: Michael Brus
Rollkragenpullover und Mantel von Hermès.
Michael Brus
Anzug von Jana Wieland, Bluse von Louis Vuitton und Schuhe privat / Julia Franz Richter.
Michael Brus

Daneben teilt sie regelmäßig politische Inhalte, im Moment weist Richter auf Demos oder Hilfsprojekte hin, die sich mit Menschen in Afghanistan solidarisieren. "Die Krise hat mich sicher noch mehr politisiert. Mittlerweile ist es für mich nicht mehr möglich, keine Haltung zu haben", sagt die 30-Jährige.

Die Wiener Neustädterin war während der Pandemie als angestellte Schauspielerin in Kurzarbeit, ihre Situation versteht sie als privilegiert: "Ich hatte die Zeit und die Ressourcen, mir Gedanken zu machen." Menschen, die einen Vollzeitjob haben, mit dem sie gerade mal so ihre Miete bezahlen können, hätten meist gar nicht die Zeit, sich politisch einzubringen: "Wie auch?" Man nimmt ihr diese Worte ab. Julia Franz Richter ist keine, die sich engagiert gibt, weil es gerade zum guten Ton gehört. (RONDO, Anne Feldkamp, 10.9.2021)