Wien hat viele schöne Straßen – einige Namen sind aber auch problematisch.

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In Wien ist am Mittwoch ein Ergänzungsband zu umstrittenen Wiener Straßennamen präsentiert worden. Er folgt auf die 2013 von der Stadt in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie, die sich mit den Benennungen beschäftigt hat. Mehr als 170 Straßenbezeichnungen wurden damals als bedenklich eingestuft. Nun sind knapp weitere 20 Personen beziehungsweise Bezeichnungen in diese Liste aufgenommen worden – und erstmals spielt hier auch Kolonialismus eine Rolle.

Architekten und Maler

Nach dem ersten Band seien weitere Hinweise auf Personen aufgetaucht, mit denen man sich beschäftigen solle, berichtete der Historiker Oliver Rathkolb in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler (SPÖ). Die betroffenen Namensgeber haben etwa NS-Vergangenheit, waren Rassisten oder Antisemiten oder rechtfertigten den Kolonialismus.

Nun wurde etwa der Architekt Sigfried Theiss ins Visier genommen, der nicht nur das erste Wiener Hochhaus in der Herrengasse mitgestaltet hat, sondern auch Adolf Hitler als "großen Baumeister" lobte. Auch der Maler Wilhelm Dachauer huldigte dem "Führer" – indem er Porträts des Diktators anfertigte. Nach den beiden sind Verkehrsflächen in der Donaustadt benannt. Der Schriftsteller und Priester Sebastian Rieger (1867–1953) alias "Reimmichl" wiederum wurde wegen antisemitischer Textpassagen in den Band aufgenommen.

Sportler mit NS-nähe

Auch der Bereich Sport findet sich dort – mit dem Fußballer Ernst Melchior und dem Radrennfahrer Max Bulla. Bei ihnen ist eine Nähe zum NS-Regime dokumentiert, also etwa eine Parteimitgliedschaft oder die Teilnahme bei der Zerstörung von jüdischen Wohnungen. Ein spezieller Fall ist die Kärntner Botanikerin Lore Kutschera, die mit ihrem "Wurzelatlas" nach dem Krieg internationales wissenschaftliches Renommee erlangte. Ihr Engagement etwa beim "Bund Deutscher Mädel" (BDM) war lange Zeit völlig unbekannt. Erst ein Blick in deutsche Archive offenbarte kürzlich die NS-Vergangenheit der Forscherin.

Die Kolonialgeschichte ist im Ergänzungsband nun ebenfalls vertreten. Walter Sauer vom Institut für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Wien betonte, dass die koloniale Vergangenheit Österreich-Ungarns bisher nie ein großes Thema war und die Meinung vorherrsche, dass es sie schlicht nicht gab. Doch das sei unzutreffend, versichert er. Verwiesen wird in dem Band etwa auf die Sammeltätigkeit österreichischer Reisender beziehungsweise "Entdecker", deren Mitbringsel bis heute Teil der Kollektionen heimischer Museen sind. Oscar Baumann und Emil Holub, nach denen Straßen im 3. und im 2. Bezirk benannt sind, werden hier etwa aufgeführt.

Mohrengasse problematisch

Auch die Große Mohrengasse und die Kleine Mohrengasse in der Leopoldstadt sind vertreten. Sauer verwies auf die mehrschichtige Bedeutung des Begriffs Mohr. Noch im Spätmittelalter sei damit noch keine negative Konnotation verbunden gewesen. Das hat sich erst im 19. Jahrhundert geändert, als vor allem die Sklaverei dafür sorgte, dass die Bezeichnung diskriminierend verwendet wurde. Die rassistische Abwertung habe sich ab diesem Zeitpunkt etwa auch mit der Mitwirkung von schwarz gefärbten Menschen samt Lendenschurz und Federkrone bei Faschingsfesten manifestiert, erläuterte Sauer.

"Der Ergänzungsband ist ein wichtiger Beitrag zum Erinnern im öffentlichen Raum", betonte Kulturstadträtin Kaup-Hasler. Sie bekräftige den Weg der Stadt, mit Zusatztafeln erklärende biografische Informationen über den Namensgeber oder die Namensgeberin zu bieten. Umbenennungen sind nicht geplant. Dies sei nicht nur wegen bestehender Adressen schwierig – Umbenennungen würden auch diese Teile der Geschichte aus dem Stadtbild verschwinden lassen, gab sie zu bedenken. Lediglich beim Lueger-Ring (heute Universitätsring) wurde vor einigen Jahren eine Ausnahme gemacht. Inzwischen gibt es übrigens auch Überlegungen, Ehrengräber oder die Namen von Gemeindebauten einer entsprechenden Untersuchung zu unterziehen, wie die Ressortchefin berichtete.

SPÖ-Gemeinderat Georg Niedermühlbichler, der Vorsitzende des Unterausschusses für Verkehrsflächenbenennungen, hob hervor, dass man auch durch die Neubenennungen von Straßen, Gassen und Plätzen in Stadterweiterungsgebieten auf historische Entwicklungen reagiere. Dies geschehe etwa in der Form, dass man sie nach Frauen benennt. Damit könne dem historisch gewachsenen Ungleichgewicht – Wiener Straßen wurde früher vor allem nach Männern benannt – entgegengewirkt werden, sagte Niedermühlbichler. (APA, 8.9.2021)