Gernot Blümel war im vergangenen Jahr immer wieder rechtlich gegen Postings in sozialen Medien vorgegangen.

Foto: Heribert Corn

Die türkise Führung sei "nur mehr korrupt und machtgeil. Und wenn mich auch der laptoplose Blümel verklagt, diese Partei ist vergesslich oder korrupt," schrieb Wolfgang P. Anfang März auf seinem Twitter-Account. Wie bestellt, flatterte dem pensionierten Informatiker wenig später eine Privatanklage von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) ins Haus. Ende August verurteilte das Wiener Straflandesgericht P. schließlich wegen übler Nachrede zu einer Geldstrafe von 4.200 Euro.

Gleichzeitig strengte Blümel auch ein zivilrechtliches Verfahren gegen den Twitter-User vor dem Handelsgericht Wien an. Dieses kam bei der Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Verfügung nun aber zu einem anderen Ergebnis: Den zugespitzten Äußerungen liegt laut dem zuständigen Richter ein "hinreichendes Tatsachensubstrat" zugrunde. Der Tweet sei auch kein "Wertungsexzess", sondern ein "gerechtfertigtes Werturteil". Das Handelsgericht Wien war im Parallelverfahren nicht an die strafgerichtliche Entscheidung gebunden. Dass im Zivilverfahren anders entschieden wird, gilt dennoch als ungewöhnlich.

"Politische Kritik"

Vor dem Straflandesgericht hatte Blümels Anwältin argumentiert, dass der Minister als Person von dem Tweet konkret betroffen war, auch wenn sich der Vorwurf der Korruption wörtlich nur auf die ÖVP als Partei bezog. Die auch für den STANDARD tätige Medienanwältin Maria Windhager, die P. verteidigte, versuchte den Tweet in einen größeren politischen Kontext zu rücken. Ihrem Mandanten sei es um eine politische Kritik an der Haltung der Neuen ÖVP gegangen, die sich von den Werten bürgerlichen Anstands entfernt habe. Den Begriff "korrupt" habe P. nicht in einem strafrechtlichen Sinne gemeint, sondern als Synonym für moralische Verwerflichkeit.

Die zuständige Richterin am Straflandesgericht verurteilte P. dennoch zu einer Gelstrafe von 4.200 Euro, 1.050 davon unbedingt. Zudem soll der Mann dem Finanzminister 100 Euro Entschädigung nach dem Mediengesetz zahlen, dem er als Medieninhaber seines Twitter-Accounts unterliegt. Die Entscheidung begründete das Gericht damit, dass Blümel als Teil der türkisen Führungsriege vom Tweet sicherlich mitgemeint gewesen sei. Zudem könne sie den Begriff "korrupt" nicht gleichsam "freigeben", weil ihn sonst alle Medien bedenkenlos verwenden könnten. Windhager legte nach Urteilsverkündigung sofort Berufung an das Oberlandesgericht Wien ein.

Handelsgericht ist anderer Meinung

Das Handelsgericht Wien war im Parallelverfahren nun offensichtlich anderer Meinung. Dem "Durchschnittsadressaten" sei der politische Gesamtkontext des Tweets geläufig gewesen. Das Geschriebene hätte daher vor dem Hintergrund der medialen Berichterstattung über den Ibiza-U-Ausschuss sowie der Korruptionsermittlungen im Umfeld der ÖVP beurteilt werden müssen.

Der Tweet von P. sei zwar "stark zugespitzt", habe sich aber auf kein bestimmtes "korruptes" Verhalten bezogen. Es sei dem Publikum daher klar gewesen, dass P. Blümel kein strafbares Handeln im Sinne des Korruptionsstrafrechts vorwerfe, sondern vielmehr Kritik am Handeln der "türkisen Führung" übe. Sowohl das Verfahren vor dem Straflandesgericht als auch jenes vor dem Handelsgericht Wien sind nicht rechtskräftig. In zweiter Instanz entscheidet in beiden Angelegenheiten nun das Oberlandesgericht Wien.

Blümel, der sich mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert sieht, war im vergangenen Jahr immer wieder rechtlich gegen Postings in sozialen Medien vorgegangen. Im April kam es etwa zu einer Auseinandersetzung mit der Sozialistischen Jugend (SJ). Diese hatte ein Foto des Finanzministers veröffentlicht und mit "außen fesch, innen korrupt" kommentiert. Der Streit endete schließlich mit einem Vergleich, die SJ musste 2.000 Euro an das Hilfswerk Wien bezahlen. (japf, ta, 8.9.2021)