In den vergangenen Jahren war es für internationale Unternehmen relativ leicht, so zu tun, als habe man mit den Menschenrechtsverbrechen in der chinesischen Region Xinjiang nichts zu tun. Ebenso peinlich wie arrogant war die Antwort des Volkswagen-Chefs Herbert Diess auf die Frage eines BBC-Reporters, ob das Engagement von VW in der Region moralisch vertretbar sei: Er sei sich "der Umerziehungslager nicht bewusst".

Das war im April 2019, und damals war längst bekannt und darüber hinaus auch gut belegt, dass die chinesische Regierung in der autonomen Region Xinjiang Lager betreibt, in denen Millionen Uiguren gefoltert und einer Gehirnwäsche unterzogen werden. Damals aber konnten sich internationale Unternehmen, die in der Region tätig waren, noch darauf ausreden, dass man in den eigenen Werken ja keine Zwangsarbeiter beschäftige.

Mittlerweile aber wird immer deutlicher, dass durch die eng verflochtenen Lieferketten eine solche Aussage nicht mehr als ein moralisches Feigenblatt ist.

Xinjiang ist einer der größten Produzenten von Baumwolle.
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Die Menschenrechtsorganisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) hat deswegen dieser Tage beim deutschen Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen mehrere deutsche Textilmarken und Händler gestellt.

Profiteure der Ausbeutung

Der Modekonzern Hugo Boss, der Diskonter Lidl und einige andere Unternehmen profitierten direkt oder indirekt von Zwangsarbeit. Damit könnten die Unternehmen in Verbrechen gegen die Menschlichkeit involviert sein.

Das ECCHR forderte die Bundesanwaltschaft darum auf, "die mutmaßliche Zwangsarbeit und die mögliche rechtliche Verantwortung der Unternehmen zu untersuchen". Die Karlsruher Behörde ist zuständig für die Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Die Leiterin des ECCHR-Programms Wirtschaft und Menschenrechte, Miriam Saage-Maaß, erklärte, es sei "inakzeptabel, dass europäische Regierungen China für Menschenrechtsverletzungen kritisieren, während die Unternehmen womöglich von der Ausbeutung" der uigurischen Bevölkerung profitierten.

Hugo Boss erklärte auf Anfrage: "Wir gehen davon aus, dass bei der Herstellung unserer Waren unsere Werte und Standards eingehalten wurden und keine Rechtsverstöße vorliegen." Anderslautende Behauptungen des ECCHR weise das Unternehmen daher zurück. Hugo Boss toleriere "keinerlei Zwangs- oder Pflichtarbeit oder jegliche Form der modernen Sklaverei".

Anders als zum Beispiel der deutsche Autobauer VW haben die Textilhersteller in Xinjiang keine Produktionsstätten. Sie beziehen allerdings Baumwolle aus Xinjiang, von der ein großer Teil mit Zwangsarbeit geerntet wurde.

Die Menschenrechtslage in der Region hat sich in den letzten Jahren drastisch verschärft.

Tatsächlich ist es nicht immer leicht für ein Unternehmen sicherzustellen, dass von Zulieferern bezogene Produkte ethischen Standards entsprechen. Genau darauf aber zielt auch das neue Lieferkettengesetz ab, das in Deutschland im Februar 2021 verabschiedet wurde. Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern müssen ab dem 1. Jänner 2022 (ab 2023 auch Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern) Sorge tragen, dass die von ihnen bezogenen Produkte unter fairen Bedingungen produziert wurden, und Missstände bei Zulieferern melden.

Europaweit fordern mehrere Initiativen neue Regeln, damit Unternehmen für Schäden an der Umwelt und Verletzungen von Menschenrechten zur Kasse gebeten werden. Auch in Österreich gibt es mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen, die auf ein Lieferkettengesetz drängen.

Peking diskriminiert seit Jahrzehnten das muslimische Turkvolk der Uiguren in der Region Xinjiang. Seit 2017 aber hat sich die Menschenrechtslage dort drastisch verschärft.

Bevölkerungsoptimierung

Über eine Million Uiguren wurden in sogenannte "Umerziehungslager" eingewiesen. Dort erleben sie monatelang Folter und eine Gehirnwäsche. Frauen berichten von Zwangssterilisierungen und Abtreibungen. Die Kommunistische Partei Chinas nennt das "Bevölkerungsoptimierung". Die Lager dienten dazu, vermeintliche Terroristen zu "deradikalisieren". Als Produktionsstandort spielt die wirtschaftlich schwache Region eigentlich keine Rolle. Trotzdem haben die Konzerne VW, BASF und Siemens dort eigene Werke. Xinjiang ist zudem einer der größten Produzenten von Baumwolle und Solarzellen. (Philipp Mattheis aus Schanghai, 9.9.2021)