Unwirkliche Landschaften in entlegenen Weltgegenden – sie interessieren den Tiroler Fotografen Gregor Sailer.

Foto: Gregor Sailer / Lumen-Museum

Geheimdienste, Polizei und Militärbehörden, in endlosen Verfahren beschaffte Zutrittsgenehmigungen, die vor Ort für ungültig erklärt werden, dazu unberechenbare Witterungsverhältnisse und Temperaturen bis minus 55 Grad Celsius: Wenn Gregor Sailer von den Hindernissen erzählt, die er während seiner fotografischen Langzeitprojekte überwinden muss, spricht er hastig, so als stehe er noch immer unter Druck, als könne auch jetzt noch etwas schiefgehen.

Dabei sind die Bilder seines jüngsten Projekts The Polar Silk Road inzwischen im Kasten. Vier Jahre hat das gedauert, monatelange Planungs- und Recherchephasen für jede einzelne Reise inklusive. Für die Aufnahmen selbst standen dagegen oft nur kurze Zeitfenster zur Verfügung, manchmal kam es gar nicht dazu. Die Bilder sind zurzeit im Lumen-Museum für Bergfotografie inmitten der Südtiroler Dolomiten zu sehen.

Foto: Gregor Sailer / Lumen-Museum

Mit Rückschlägen hat Sailer gelernt umzugehen, aber sie kosten Energie. Er erholt sich davon im Tiroler Vomp, wo er mit seiner Familie lebt. In Tirol entstand auch die frühe Arbeit Ladiz: Sailer, der in Dortmund Fotografie studiert hat, beschäftigte sich darin mit der touristischen Ausbeutung alpiner Regionen.

The Box beleuchtet wiederum in beeindruckenden Bildern ein dunkles Kapitel von Schwaz, wo Sailer 1980 geboren wurde. In dessen historische Bergwerksstollen wurde während des Zweiten Weltkriegs eine gigantische unterirdische Fabrik gebaut. In der sogenannten Messerschmitthalle wurden Zwangsarbeiter für den Flugzeugbau eingesetzt. Doch schon seit Jahren zieht es den Fotografen immer wieder in entlegene Weltgegenden, in die sonst kaum jemand will. Und in den meisten Fällen auch nicht soll.

Der Reiz, in Sperr- und Randzonen vorzudringen, liege in deren globaler Bedeutung, sagt der Fotokünstler: "Weil dort Dinge passieren, die wirtschaftspolitische und gesellschaftliche Auswirkungen auf uns alle haben."

Menschenleere Sujets

Für seine international rezipierten Arbeiten Closed Cities und The Potemkin Village hat er von der Außenwelt hermetisch abgeriegelte urbane Zonen besucht, die rund um Rohstofffördergebiete entstanden sind: Kulissenstädte, die der militärischen Nahkampfausbildung oder Fahrzeugtests dienen, die Gated Communities der Reichen oder die zu Millionenstädten gewachsenen Flüchtlingslager in der Westsahara.

Die dort entstandenen Bilder sind stets menschenleer. Ihr Urheber interessiert sich vornehmlich für in die Landschaft Gebautes und dessen komplexe politische, militärische und wirtschaftliche Implikationen. Das ist auch bei The Polar Silk Road so. Sailer unternahm dafür Expeditionen in arktische Regionen, fotografierte Geothermalkraftwerke, Forschungseinrichtungen, militärische Abhörstationen, die sich wie bizarre Skulpturen aus milchweißer Umgebung herausschälen.

Foto: Gregor Sailer / Lumen-Museum

Das diffuse, kontrastlose Licht lässt seine Motive surreal wirken, dabei sind sie ganz reale Zeugnisse geopolitischer Machtspiele und Hegemonialansprüche. Es geht um die wirtschaftliche Nutzung der arktischen Regionen und die territorialen Ansprüche der Anrainerstaaten. Je schneller das Eis durch den Klimawandel schmilzt, desto größer werden die Begehrlichkeiten und Konfliktpotenziale.

China, sagt Gregor Sailer, rechne damit, dass die Schifffahrtswege durch das Nordpolarmeer bis spätestens 2050 eisfrei befahrbar seien, und bringe sich längst mit Milliardeninvestitionen in ein Infrastrukturprojekt namens "polare Seidenstraße" in Stellung – wiewohl die Volksrepublik nicht an die Arktis grenzt.

Trotz der abenteuerlichen Bedingungen, unter denen er arbeitet, wirkt Sailer keineswegs wie ein Draufgänger. Seine Projekte erfordern präzise Planungen und Disziplin. Zumal Sailer mit schwerem Gerät arbeitet. Die analoge Großbildkamera, sagt er, habe gerade bei der extremen Kälte in der Arktis einen entscheidenden Vorteil: "Da friert dir vielleicht einmal das Schmierfett ein, aber du hast kein Problem mit den Akkus." (Ivona Jelcic, 9.9.2021)