Dubravka Šuica, Vizepräsidentin der EU-Kommission mit Zuständigkeit Reformen.

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Dubravka Šuica stammt aus der Küstenstadt Dubrovnik, wo sie fast zehn Jahre lang Bürgermeisterin war, bevor sie mit dem EU-Beitritt Kroatiens 2013 als Abgeordnete ins EU-Parlament einzog und 2019 Mitglied der EU-Kommission wurde. Dort werkt sie als Vizepräsidentin, zuständig für "Demokratie und Demografie".

Hinter dem sachlich-abstrakten Jobtitel verbirgt sich eine konkrete wie komplexe Aufgabe, die die Europäische Union als liberale, demokratische Rechtsgemeinschaft sicherstellen soll. Šuica ist verantwortlich für EU-Reformen. Die 65-Jährige soll mit dafür sorgen, dass die Union im Inneren gestärkt wird, die durch demografischen Wandel alternde Gesellschaft auch in Jahrzehnten stabilen Bestand hat und wohlhabend bleibt.

Geschrumpfter Global Player

"2070, also in 50 Jahren, werden die Europäer nur noch vier Prozent der Weltbevölkerung stellen", sagt sie im Gespräch mit dem Standard. Ob die EU als Global Player dann noch eine führende Rolle in der Welt spielen werde, sei keine Selbstverständlichkeit.

Die Regierungen der Mitgliedsstaaten haben mit Kommission und EU-Parlament eine "Konferenz zur Zukunft Europas" eingerichtet. Anders als bei früheren Reformprozessen sind diesmal NGOs und Bürger gleichermaßen vertreten. Der Start war im Mai – mit einem Jahr Verspätung, wegen der Pandemie. Am 17. September soll es nun ein erstes großes, EU-weites Bürgerforum geben, um Ideen aus Veranstaltungen und Vorschläge, die über eine digitale Plattform eingereicht wurden, zu debattieren.

Ziel ist es herauszufinden, wie EU und Mitgliedsstaaten sich entwickeln sollen, um das gemeinsame Europa zu stärken, wie es bei der Integration weitergehen soll – und ob überhaupt. "Die Kernidee dabei ist, dass wir rausgehen zu den Bürgern, dass sich Menschen aus allen Lebensbereichen einbringen", erklärt die Kommissarin, ihre Ideen müssten "in einem offenen Reformprozess gesammelt" und später zu einem konkreten Projekt gebündelt werden.

Keine Reform von oben

Die Kommission bemühe sich, keine Vorgaben zu machen, wohin die Reise gehen solle. "Die Welt hat sich geändert, wir haben uns geändert", erklärt Šuica. Jüngere Generationen hätten ein ganz anderes Verständnis von Demokratie und Teilhabe. Früher seien EU-Reformen "von oben", von Regierungen ausgegangen, von den Experten. "Heute muss es umgekehrt sein", sagt die Vizepräsidentin, die Entwicklung müsse "von unten nach oben" bestimmt werden. Die Kommission wolle den Bürgern "eine Plattform" bieten, "offen, transparent". Es müsse "populär werden", bei diesem Prozess mitzutun, was auch mediale Aufmerksamkeit brauche.

Zwei Tendenzen hätten sich in den ersten Monaten seit Konferenzstart bereits gezeigt: "Auf digitalen Plattformen machen vor allem Menschen zwischen 19 und 39 Jahren mit." Man müsse also noch mehr daran arbeiten, die Älteren einzubinden, die ihre Erfahrungen und Weisheit mitbrächten. "Die Aufgabe ist komplex." Und es gehe auch um die Zukunft der Demokratie in einer Periode, in der in manchen Staaten "autoritäre Ideen zum System gehören". Auch sei mehr Solidarität zwischen den Generationen nötig.

Auf die Frage, welche Inhalte die Bürger denn bei den bisherigen Debatten am meisten beschäftigen, antwortet die Vizepräsidentin ohne Zögern: "Klimaschutz und Demokratie haben für die Jungen Toppriorität". Und dabei mehr Mitsprache. In Zeiten der Corona-Pandemie hätte man eigentlich darauf tippen können, dass die Gesundheit beziehungsweise die Stärkung der EU auf diesem Gebiet als erste Priorität genannt werde.

All das zusammengenommen, kommt Šuica zu dem Schluss, dass EU-Reformen dann erfolgreich sein werden, wenn sie diesen Bedürfnissen der Bürger entsprechen: "Mehr Demokratie, Transparenz, Offenheit, Mitsprache." Und Klimaschutz. Mit dem Green Deal und einem Programm, das nicht zufällig "Next Generation EU" heiße, liege die Kommission ganz gut. Aber jetzt gehe es darum, dass die Bürgerwünsche auf den Tisch kämen. Im Frühjahr 2022 soll es dann Phase zwei geben: Die Ideensammlung wird gebündelt, ein konkreter EU-Reformvorschlag soll entstehen. (Thomas Mayer, 9.9.2021)