Unter Journalistinnen und Journalisten hat er sich mit seinem neuen Buch keine Freunde gemacht, scherzte Rolf Dobelli (55), als er den STANDARD in Alpbach traf. In Die Kunst des digitalen Lebens empfiehlt der Schweizer Schriftsteller und Unternehmer, weitgehend auf Medienkonsum zu verzichten. Der Initiator des Denker- und Künstlernetzwerks World Minds war auf Einladung von A1-Vorstandschef Thomas Arnoldner (43) beim Europäischen Forum Alpbach. Ein Gespräch über Medien und ihre – womöglich richtige – Nutzung.

STANDARD: Herr Dobelli, ihr Buch trägt den Titel "Die Kunst des digitalen Lebens" und handelt davon, wie wir Medien konsumieren. Was wäre anders, wenn wir das Interview online führen würden und nicht in persona?

Dobelli: Gar nichts. Die Qualität bei Videoplattformen ist gut. Meiner Erfahrung nach geht nichts verloren in einer Interviewsituation.

Arnoldner: Für eine Interviewsituation teile ich das. Aber das Leben besteht nicht nur aus Interviews, sondern gerade im Beruf auch aus Kreativworkshops, Innovationsarbeit und so weiter. Es gibt Situationen wo die neuen digitalen Tools, die viele erst in den letzten eineinhalb Jahren für sich entdeckt haben, sehr gut helfen. Und es gibt Situationen, wo die persönliche Interaktion weiterhin wichtig ist – wie zum Beispiel hier beim Forum Alpbach.

STANDARD: Corona hat der Digitalisierung auch in Österreich einen Schub gegeben. Wo stehen wir und wo gibt es Aufholbedarf?

Arnoldner: Corona hat gezeigt, wie wichtig Digitalisierung ist. Jeder von uns male sich aus, wie wir vor zehn oder zwanzig Jahren ohne Digitalisierung durch diese Krise gekommen wären – es wäre viel schwieriger gewesen. Wenn man zum Beispiel auf die DESI-Studie (Digital Economy and Society Index, Anm) schaut, liegt Österreich auf Platz 13, ziemlich genau in der Mitte. Wir haben uns verbessert, aber ich glaube das ist nicht der Anspruch, den Österreich haben sollte. Selbst wenn wir in dem Ranking ganz vorne gelandet wären, könnten wir uns nicht ausruhen. Die anderen hören ja auch nicht auf sich zu bewegen.

STANDARD: Digitalisierung heißt für viele Berufe weniger Papier und mehr Bildschirm. Herr Dobelli, schauen wir zu viel auf Bildschirme?

Dobelli: Bildschirme sind gut, solange es intelligente Formate sind, wo man in die Tiefe geht und wirklich die Generatoren der Welt versteht. Das Problem sind die Kurzformate und wie wir mit ihnen umgehen. Ich kritisiere nicht die Bildschirme.

Arnoldner: Wir verwenden digitale Werkzeuge oft falsch. Wir lassen uns durch diesen kurzfristigen Newsflow so in Besitz nehmen, dass wir den Blick für das Wesentliche verlieren. So habe ich Rolfs Buch verstanden. Nicht nur die Infrastruktur, auch der Aufbau von digitalen Kompetenzen sehr wichtig.

"A fool with tool is still a fool", erinnert A1-Chef Thomas Arnoldner im Gespräch mit Autor Rolf Dobelli (links).
Foto: APA/Jan Hetfleisch

Dobelli: In 50 Jahren wird man zurückschauen und staunen: was haben die nur gemacht damals? Die waren süchtig nach diesem Kurzfutter! Die konnten sich ja gar nicht mehr auf Relevantes konzentrieren! Diese Kompetenz müssen wir uns aneignen, so wie wir uns auch Kompetenzen aneignen müssen beim Autofahren. Da gibt es einen Kurs, da lernt man Autofahren, da lässt man die Leute auch nicht einfach auf die Straße.

Arnoldner: Die Analogie vom Autofahren gefällt mir. Es hat seit dem Beginn der Motorisierung rund 70 Jahre gedauert, bis wir die Spitze an Verkehrstoten in Österreich erreicht haben. In diesen 70 Jahren haben wir die Technologie weiterentwickelt, die Autos sind sicherer geworden, es gibt Dinge wie den Gurt, ABS und Airbags. Wir haben das Regulatorium weiterentwickelt und sanktionieren die Regeln auch. Wir haben neue Hilfsmittel wie die Ampel erfunden. Aber wir haben natürlich auch die Ausbildung deutlich verbessert. Seit den 70er-Jahren gehen die Verkehrstoten wieder nach unten. Ich fürchte nur, dass wir in der Digitalisierung nicht so viel Zeit haben werden, deswegen ist da ein viel stärkerer Aufwand notwendig, dass wir diesen Kompetenzaufbau voranbringen.

STANDARD: Was sind denn Kernkompetenzen, die man früh erwerben sollte?

Arnoldner: In der IT-Branche heißt es: "A fool with tool is still a fool" – ein Narr mit einem Werkzeug ist noch immer ein Narr. Wir müssen lernen, digitale Werkzeuge richtig anzuwenden. Wenn Sie die Kinder ansprechen wollen, ist es wichtig die Pädagogen und vor allem auch die Eltern mitzunehmen. Als Vater von Kindern merke ich, wie sehr Eltern dazu tendieren, ihren Kindern komplette digitale Abstinenz vorzuschreiben. Im Endeffekt fehlen den Kindern und Jugendlichen dann digitale Kompetenzen.

STANDARD: Es geht doch auch um Quellen- und Medienkompetenz.

Arnoldner: Richtiger Medienkonsum ist wichtig, man sollte einschätzen können, wie man Quellen im Internet prüft. Wichtig ist aber auch das Übertragen von sozialen Normen der analogen Welt in die digitale Welt, auch der Umgang mit echten Gefahren bis hin zur Kriminalität im virtuellen Raum. Jedes Kind weiß, dass man die Türe zusperrt, wenn man das Haus verlässt. Ich würde mir erwarten, dass Eltern und Pädagogen dieses Sicherheitsbewusstsein im Umgang mit digitalen Mitteln vermitteln.

"Zuerst muss man verstehen, wie das Medienbusiness funktioniert": Autor Dobelli beim STANDARD-Interview in Alpbach.
Foto: Philip Pramer

STANDARD: Jetzt gibt es eine wahnsinnige Masse an Nachrichten da draußen. Wie geht eine digitalisierungsaffine Person damit um?

Dobelli: Zuerst muss man verstehen, wie das Medienbusiness funktioniert. Gratismedien verdienen ihr Geld mit Werbung. Der Leser bezahlt mit Aufmerksamkeit. Das führt qualitätsmäßig zu einem "Race to the Bottom". Bei den abofinanzierten Medien gibt es zum Glück auch lange Formate. Bevor Sie ein Medium überhaupt angreifen, sollten Sie entscheiden, was für Sie persönlich wichtig ist. Es gibt das Konzept der Kompetenzkreise von Warren Buffet. Das sind kleine Gebiete, in denen man überdurchschnittlich gut sein will, vielleicht sogar zu den besten der Welt gehören will. Alle Informationen, die in diesen Kompetenzkreis hineinfallen, sind wertvoll, alles andere ist irrelevant – auch wenn sie vielleicht "interessant" oder unterhaltsam sind. Der Tag hat nicht mehr als 24 Stunden. Nur in den Kompetenzkreisen können wir für uns selbst und für die Gesellschaft Wissen generieren.

STANDARD: Junge Menschen bauen sich diesen Kompetenzkreis erst auf? Welche Medien sollten die lesen?

Dobelli: Junge Menschen sollten überhaupt keine Nachrichten konsumieren. Die sollten erst einmal die Welt verstehen – das heißt, Geschichte lesen, über die einzelnen Nationen und Geopolitik, Grundlagen der Ökonomie und Naturwissenschaft Bescheid wissen. Wenn man sich dann für eine Karriere entscheidet, dann beginnt man, sich einen Kompetenzkreis aufzubauen. Es nützt nichts, junge Menschen mit irgendwelchen News über irgendwas, das in der Welt passiert, zuzumüllen.

STANDARD: Aber trägt es nicht zum politischen Diskurs bei, dass wir aktuelle Nachrichten konsumieren, um uns dann mit unseren Mitmenschen darüber zu unterhalten?

Dobelli: Ich meine wirklich die schnellen Breaking News. Wenn es Informationen in einem Bereich sind, in dem man abstimmen oder wählen kann, dann hat das einen bestimmten Wert. Da gebe ich Ihnen recht, das gehört zum politischen Diskurs.

STANDARD: Technologie sorgt für eine Nachrichtenflut, wir sollen auf das Unwesentliche verzichten sagt Herr Dobelli. Herr Arnoldner, Verzicht und Technologie sind auch in der Klimapolitik zwei Schlagwörter. Kann Technologie zur Klimarettung beitragen oder müssen wir auf den unwesentlichen Konsum verzichten?

Arnoldner: Es gibt eine Korrelation zwischen der Verfügbarkeit von Breitband-Infrastruktur und der Reduktion von CO2-Emissionen, das haben wir belegen lassen. Wir in unserer Branche haben gelernt, nicht zu selbstbewusst zu sein was die Vorhersage von technologischen Entwicklungen betrifft. Wir hätten uns vor zehn Jahren nicht ausmalen können, wie wir heute kommunizieren. Und deswegen glaube ich sehr stark, dass wir auch in der Bewältigung von gesellschaftlichen Problemen sehr viele neue Technologien verwenden werden, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. (Philip Pramer, Aloysius Widmann, 9.9.2021)