Der 40-jährige Unternehmer Julian H. soll nicht nur in die Produktion des Ibiza-Videos involviert sein, sondern auch mit Kokain gehandelt haben.

Foto: APA / Roland Schlager

St. Pölten – "Es geht hier nicht um das Video", versucht Staatsanwalt Bernd Schneider gleich im Eröffnungsplädoyer klarzustellen. Genauer, nicht um das "Video, das auf einer Sommerinsel im südlichen Europa" heimlich aufgenommen wurde – und das den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, seinen Parteikollegen Johann Gudenus und eine angebliche Oligarchennichte bei der gemeinsamen Abendgestaltung zeigte. An der Seite der angeblichen russischstämmigen Lettin: Julian H., der sich seit Mittwoch vor einem Schöffensenat am Landesgericht St. Pölten verantworten muss. Aber eben, wie der Ankläger klarzumachen versucht, nicht wegen des Ibiza-Videos, sondern da er zwischen 2017 und 2018 bei drei Gelegenheiten insgesamt 1,25 Kilogramm Kokain mit 70 Prozent Reinheitsgehalt verkauft haben soll.

Während Schneider also das I-Wort tunlichst vermeidet, steht es bei H.s Verteidigern Wolfgang Auer und Oliver Scherbaum im Mittelpunkt. "Das Verfahren begann mit dem Ibiza-Video", hält Auer fest. Er ist von der Unschuld seines 40-jährigen Mandanten überzeugt: "Es geht letztlich nur darum, den Angeklagten zu bestrafen, da er das Ibiza-Video gemacht und Teile davon veröffentlicht hat!" Im Hintergrund agiere Professor S., der politisch "ganz rechts" zu verorten sei und der versuche, Strache reinzuwaschen – S. habe dem Belastungszeugen 55.000 Euro gezahlt, damit dieser H. falsch beschuldigt. Überhaupt ist Auer empört: Er "schäme" sich für die heimischen Ermittlungsbehörden, speziell das Bundeskriminalamt, und die Justiz. Scherbaum sekundiert: Die Vorwürfe seien "konstruiert, und das auch noch schlecht".

"Sehr kühne" Behauptungen

Dem Vorsitzenden des Schöffensenats, der aus Sorge um seine Privatsphäre namentlich nicht genannt werden will, erscheinen die Behauptungen der Verteidigung "sehr kühn" und "teilweise sehr vage, sehr konstruiert". Er zeigt sich aber bereit, der Sache auf den Grund zu gehen, und kündigt bereits zu Beginn an, dass das Verfahren "länger dauern und umfangreicher sein wird als gedacht" und eine Vertagung notwendig ist.

Zunächst befragt er aber den Angeklagten. Der bestreitet, je Kokain geliefert zu haben. Er habe den angeblichen Käufer 2013 kennengelernt, da sie gemeinsam in einer Sicherheitsfirma gearbeitet hätten, sagt der unbescholtene Unternehmer mit blonder Kurzhaarfrisur. Als diese pleiteging, gründete H. seine eigene Firma und gab dem Belastungszeugen Jobs. Im Frühjahr 2018 – ein knappes Jahr nach den Aufnahmen in Ibiza – habe er dem Zeugen gegenüber erstmals angedeutet, dass es belastende Aufnahmen gebe. Er habe dabei aber auch falsche Informationen eingebaut, um zu sehen, wo diese auftauchen. Seine Erkenntnis: bei Professor S., der auch Websites betreibt. Mit der damaligen Geliebten des Zeugen, die ihn ebenso belastet, habe er ein schlechtes Verhältnis gehabt, sie würde sich möglicherweise an ihm, H., rächen wollen.

Elf Einvernahmen ohne Dolmetscher

Die Dame ist an sich die Kronzeugin der Anklage: Sie sagte bereits nach ihrer Festnahme am 19. November 2019, als die Polizei in ihrem Keller 133 Gramm Kokain in einem Staubsaugerbeutel gefunden hatte, aus, dass H. dreimal in ihrem Beisein dem Geliebten das Rauschmittel verkauft habe. Elfmal wurde die Frau ohne Dolmetscher einvernommen, ihr Auftritt vor Gericht wird zur Überraschung: Sie bricht immer wieder in Tränen aus und hyperventiliert, da sie panische Angst vor dem Angeklagten habe, wie sie sagt. Der psychische Zustand ist aber nicht das einzige Problem: Sie beherrscht offen hörbar nicht perfekt Deutsch. Der Vorsitzende bricht schließlich ihre Befragung ab. Er will sie zu einem späteren Termin mit Übersetzer einvernehmen.

Angeblich Drohung via Mutter

Die Geschichte des angeblichen Drogenkäufers ist ebenfalls überraschend. Seit November 2019 hatte er stets geleugnet, dass H. etwas mit dem Deal zu tun gehabt habe. "Ich wollte in meiner Hauptverhandlung die Wahrheit sagen", erklärt der Zeuge, der im Vorjahr wegen Drogenhandels verurteilt worden ist. Allein: Auch in seinem Prozess, in dem er von einem von Professor S. finanzierten Wahlverteidiger vertreten wurde, belastete er H. nicht. Angeblich, da drei Wochen zuvor seine Mutter in Serbien von zwei Männern besucht worden sei, die eine Botschaft an ihn ausgerichtet hätten: "Keine Aussage, sonst passiert was." Das habe ihm seine Mutter telefonisch berichtet. Erst Ende Jänner 2021 beschuldigte er H. erstmals.

Dass seine Angaben nicht deckungsgleich mit jenen seiner Ex-Geliebten sind, begründet der Zeuge damit, dass die Frau Schwierigkeiten mit der örtlichen und zeitlichen Einordnung habe. So soll eine Begebenheit nicht, wie sie sagt, an der Adria, sondern am Attersee stattgefunden haben. Schließlich sei sie, genauso wie er, damals schwer kokainabhängig gewesen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden präzisiert er: Die Frau sei paranoid gewesen und habe Wahnvorstellungen gehabt.

Am 13. Oktober wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, 8.9.2021)