Die Sockelzone der Kulturgarage bespielt zukünftig die Wiener Volkshochschule, darüber sind Parkplätze.

Foto: Putschögl

Mitten in der Wiener Seestadt Aspern befindet sich seit einigen Wochen ein Teil des alten, gründerzeitlichen Wiens. Gelungen ist das, indem das Architekturbüro Fasch und Fuchs die Farben der Liniengasse im sechsten Bezirk kurzerhand auf die Fassade der Kulturgarage gehoben hat.

Dort strahlen sie nun von riesigen quadratischen Farbpaneelen, gekennzeichnet mit der jeweiligen Hausnummer. Die Nuancen der Liniengasse rücken das wilde Treiben auf der Mariahilfer Straße näher an die Seestadt – obwohl sie laut Google Maps gute 50 Minuten entfernt ist.

Das äußere Erscheinungsbild der Kulturgarage von Bauträger WBV-GFW ist aber nicht das einzige, das den Bau hervorhebt. Auch seine Funktion ist bisher einzigartig in Wien. Denn neben 537 Parkplätzen bietet die Hochgarage eine 2000 Quadratmeter große Nutzfläche für Kulturveranstaltungen.

Im Herbst wird die Wiener Volkshochschule die Sockelzone inklusive eines Konzertsaals für 500 Personen, Bühne, LED-Wand, Musik- und Lichttechnik übernehmen. Herbert Schweiger, Geschäftsführer der Wiener Volkshochschulen, zeigt sich erfreut, allein die rot-orange-gelbe Farbwahl im Inneren des Konzertsaals sage ihm nicht ganz zu. "Sobald das Licht aus ist, sieht das aber niemand mehr", scherzt er.

Derzeit sind die Arbeiten in vollem Gange, im Dezember soll die Eröffnungsfeier steigen, sofern es Corona zulässt. Schweiger: "Das wird eine interessante Spielstätte, die die Seestädter mitgestalten sollen."

Mobiles Versuchslabor

Die Kulturgarage ist Teil des Mobilitätskonzepts der Seestadt, das mindestens drei weitere Hochgaragen mit zusätzlichen Funktionen wie einer Fahrradwerkstatt, Fußballplätzen oder einem Restaurant beinhaltet. Tiefgaragen soll es hier nicht geben.

Das liegt auch daran, dass das Stadtentwicklungsgebiet einen "Modal Split" anstrebt, der nur 20 Prozent Autoverkehr vorsieht. Zu je 40 Prozent soll Mobilität mit dem Fahrrad, zu Fuß oder mit öffentlichem Transport stattfinden.

Damit das auch gelingt, führen mehrere Buslinien in bzw. durch die Seestadt, die derzeit erst zu einem Drittel fertig ist. Zwei Straßenbahnlinien sind geplant. Das Mobilitätskonzept setzt auch eine Stadt der kurzen Wege um. Das bedeutet, dass Nahversorger, Schule, Kindergarten, Fitnesscenter, Ärztezentrum und auch Restaurants in kurzer Zeit und mit langsamer Geschwindigkeit (zu Fuß oder mit dem Rad) erreichbar sind.

Wer ein Lastenrad oder ein E-Bike braucht, kann dies an mehreren Stellen ausleihen. Die Raumverteilung der Straße folgt dem Grundprinzip der Fußgänger- und Radfahrerfreundlichkeit. Jedes Gebäude muss gewisse Qualitätsvorgaben für Fahrradabstellplätze erfüllen.

"Wir haben vor zehn Jahren einen Mobilitätsfonds eingerichtet, mit dem Ziel, Dinge zu unterstützen, die allen Seestädtern zugutekommen", erklärt Alexander Kopecek, Vorstand der Seestadt-Entwicklungsgesellschaft.

Was er daraus immer wieder gelernt habe: Nicht jeder muss alles besitzen, solange ein öffentlicher Zugang bereitsteht. Damit scheint Kopecek den Zeitgeist zu treffen. Denn aktuellen Erhebungen zufolge legen vor allem junge Menschen weniger Wert darauf, ein eigenes Auto zu besitzen.

Junge, autolose Generation

"Bereits heute leben 47 Prozent der Wiener Haushalte autofrei, weitere zwölf verwenden das Auto nur selten", weiß Raumplaner Martin Berger. Bei einem Blick in die Statistik der Wiener Singlehaushalte im Alter von 18 bis 35 Jahren schnellt die Zahl der Autolosen auf 72 Prozent. "Hier zeichnen sich sichtbare Generationeneffekte ab", sagt Berger.

Immerhin werden Städte für die nächsten 200 Jahre geplant. Die Mobilität werde sich in den nächsten 20 Jahren stark verändern, da es eine Generation gebe, die wenig bis gar keinen Bezug zum Auto hat. Das müsse sich auch in der Städteplanung widerspiegeln.

In der Seestadt sind derzeit 260 Autos pro 1.000 Einwohner gemeldet. Zum Vergleich: Im Bezirk Donaustadt sind es 430. Laut Berger definiert das Umweltbundesamt eine lebenswerte Stadt mit 100 Autos pro 1.000 Einwohner. Wird dieses Ziel erreicht, erinnert in der Kulturgarage vielleicht nur noch der Name an seine erste Nutzung. (Julia Beirer, 14.9.2021)