Betreuung eines Covid-Patienten auf einer Intensivstation: An Betten und Maschinen mangelt es nicht – der Engpass herrscht beim Personal.

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Es ist ein quälendes Déjà-vu: Wieder zieht der Herbst ins Land, wieder droht laut Expertenwarnung eine Überlastung der Intensivstationen – in Wien werden bereits erste Operationen verschoben, um Platz für Covid-Patienten zu machen. Das wirft eine Frage auf, die etwa FPÖ-Chef Herbert Kickl mit vorwurfsvollem Unterton gestellt hat: Hätte Österreich nicht längst die Kapazitäten in den Intensivstationen ausbauen sollen?

Katharina Reich hat darauf eine Antwort gegeben. Österreich habe die Intensivbetten in der Pandemie überhaupt nicht aufgestockt, bekannte die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit freimütig im Ö1-"Morgenjournal". Es brauche ja nicht nur ein Bett mit einer Decke darüber, sondern auch Personal, das langwierig ausgebildet werden müsse, sagte Reich: "Das fällt nicht vom Himmel."

Die höchste Gesundheitsbeamtin des Landes steht mit diesem Einwand nicht allein da. "Frau Reich hat völlig recht", heißt es aus dem Wiener Gesundheitsverbund: Nicht erst seit Corona hätten die städtischen Spitäler Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen, gerade für so eine fordernde Tätigkeit wie in den Intensivstationen. Die Nachfrage übersteige permanent das Angebot an Arbeitskräften.

Flaschenhals Pflegekräfte

"Betten, Maschinen und Raum hätten wir mehr als genug", sagt Christoph Hörmann, Primar der Intensivmedizinischen Abteilung der Universitätsklinik St. Pölten: "Der Flaschenhals ist beim Personal." Besonders Pflegekräfte seien schwer zu finden – und wenn, dann dauere es zumindest zwei Jahre, bis diese vollwertig in Intensivstationen eingesetzt werden könnten.

Bevor diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen, die bereits drei Jahre Ausbildung hinter sich haben, die eigentliche achtmonatige Ausbildung für die Intensivpflege in Angriff nehmen können, findet in Niederösterreich eine einjährige Einleitungsphase statt, danach gibt es eine weitere Einführung. "Natürlich könnte man die Ausbildung komprimieren", sagt Hörmann, "aber das geht zulasten der Qualität."

Zu bedenken sei auch, dass zusätzlich eingesetztes Personal an anderen Stellen in den Spitälern fehle: Zwischen den Infektionswellen würden diese Menschen gebraucht, um all die aus Not verschobenen Operationen abzuarbeiten. Und Rekrutierung im Ausland? Hörmann winkt ab. Überzählige Pflegerinnen gebe es dort genauso wenig. Außerdem bedürfe es auch bei diesen Kräften einer Einschulungsphase.

Im Laufe der Pandemie hat DER STANDARD die Frage auch vielen Gesundheitsexperten abseits der Spitäler gestellt – kein einziger davon hält den Ausbau der Intensivbetten für die Lösung. "Das ist zu naiv gedacht", sagt etwa Peter Klimek vom Complexity Science Hub, ebenfalls mit Hinweis auf das Personalproblem. Spätestens seit es mit den Impfstoffen eine auch viel kostengünstigere Alternative gebe, sei der sündteure Ausbau der Intensivbetten, die nach Ende der Pandemie überflüssig wären, keine Option.

Kein Erfolgsgarant

Selbst in der Phase davor wäre eine Ad-hoc-Aufstockung kein Mittel gewesen, um dem Land Lockdowns und andere Restriktionen zu ersparen, ergänzt Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien. Wenn die Infektionsraten rapide – also exponentiell – wachsen, komme der ehrgeizigste Ausbauplan unmöglich mit. Eine große Zahl an Intensivbetten sei kein Erfolgsgarant in einer Pandemie, urteilt der Experte und verweist auf eine Statistik der OECD. Demnach ist Österreich nach Deutschland am besten ausgestattet. Dänemark oder Finnland verbuchen weitaus weniger Betten, kamen aber dennoch besser durch die Krise – mit geringerem Wirtschaftseinbruch und viel weniger Corona-Toten.

Czypionka hält die Strategie, mehr Patienten in Intensivstationen in Kauf zu nehmen, noch aus einem anderen Grund für verfehlt. "Mit einer Aufnahme ist viel Leid verbunden", sagt er, "die Betroffenen brauchen oft Monate, bis sie sich wieder erholen." Anderen ergeht es noch schlechter: 37 Prozent aller Menschen, die mit Covid auf einer Intensivstation landeten, sind dort auch verstorben. (Gerald John, 13.9.2021)