Be your own therapist": Mit diesem Slogan animiert die US-amerikanische App Bloom ihre Nutzer, angeleitet durch Videos und Hausaufgaben, sich selbst zu therapieren. Es ist nicht das einzige Angebot: Im Google Play Store sind zahlreiche "Selbsttherapie"-Apps gelistet, die mit dem Versprechen locken, psychologische Probleme im Alleingang zu bewältigen. Auch auf Instagram werben Mental-Health- oder Meditations-Apps.

Nachfrage gibt es seit der Pandemie verstärkt. Lockdown und Social Distancing haben das Gefühl psychischer Belastung intensiviert. Besonders jungen Menschen setzt die Ausnahmesituation zu. Einer Meta-Analyse von Wissenschafterinnen der University of Calgary zufolge, die Daten aus internationalen Studien mit zigtausenden Teilnehmern ausgewertet hat, dürfte jeder Vierte unter 18 Jahren an Symptomen einer Depression leiden.

Unseriöse Angebote

Wer sich nicht einer fremden Person anvertrauen oder auf Therapieplätze warten will, ist versucht, sich schnelle Hilfe über sein Smartphone zu holen. Aber wie können Betroffene beurteilen, welche Selbsttherapie-Apps schwindelige Angebote sind, die Nutzer durch Abo-Bezahlmodelle ausnehmen?

"Ich würde Apps generell kritisch bewerten, auf die man durch Instagram oder Werbeaktionen stößt", sagt Thomas Probst, Professor für Psychotherapiewissenschaften an der Donau-Uni Krems. Seriöse Apps würden kein solches Marketing betreiben. Wichtig wäre es, dass die Webseiten der Anbieter Hinweise anführen, dass ihre App wissenschaftlich evaluiert wurde.

Für Psychotherapie muss man heutzutage nicht mehr zwingend auf der Arztcouch liegen. Aber nicht alle Onlineangebote halten, was sie versprechen.
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Dem stimmt Jan Philipp Klein, leitender Oberarzt im Zentrum für integrative Psychiatrie an der Uniklinik Schleswig-Holstein, zu. Digitale Tools – in der Forschung etwas holprig "internetbasierte Selbstmanagementinterventionen", kurz: SMI, genannt – müssen ihre Wirksamkeit per Studien belegen. Ob der Begriff der Selbsttherapie für solche Apps zutreffend ist, hält Klein für eine "gute Frage", denn abgrenzen müsse man sie von der Selbsthilfe, der Hilfe von Betroffenen für Betroffene. Die Grenzen zur Psychotherapie seien hingegen fließend.

Probleme selbst lösen

Bei Selbstmanagement-Apps werden zwar psychotherapeutische Kenntnisse und Fähigkeiten verwendet, aber nicht durch einen Experten, sondern ein Programm vermittelt", sagt Klein. Auch die App nimmt einen bei der Überwindung eigener Probleme an die Hand.

In Deutschland können Ärzte und Psychotherapeuten Apps beispielsweise für die Behandlung von Depressionen oder Angststörungen verschreiben und diese während der Wartezeit auf einen Therapieplatz oder parallel zu einer Psychotherapie einsetzen. Allerdings nur solche, die der Staat als "digitale Gesundheitsanwendungen" anerkennt. Die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt seit 2019 die Kosten. In Österreich ist das bei Apps und Online-Tools nicht der Fall, obwohl solche bereits eingesetzt werden – etwa das Online-Therapieprogramm "deprexis". Trotzdem herrscht unter manchen Psychotherapeuten eine kritische Haltung gegenüber deren Einsatz. Das zeigt sich auch daran, dass die Internetrichtlinie für Psychotherapeuten eine Onlinebehandlung bis vor kurzem noch nicht zugelassen hat.

Seit der Pandemie wurde dies gelockert und die Therapie via (Video-)Telefonie oder E-Mail möglich. Die Ängste in der Community, dass Selbstmanagementprogramme Behandlungen ablösen und Berufsgruppen beeinträchtigen, wenn die Krankenkassen die Kosten übernehmen, kann Probst entkräften. Schon jetzt würden eher jene Patienten Selbstmanagement-Apps nutzen, die ihre psychologischen Probleme gerne allein lösen und ungern die Hilfe einer fremden Person in Anspruch nehmen wollen, sagt der Psychotherapiewissenschafter.

Unaufhaltbarer Trend

Diese Beobachtung teilt Klein und hofft, mit den digitalen Tools künftig mehr Patienten zu erreichen. "Wir haben eine deutliche Unterversorgung in der Psychotherapie." Das liege nicht nur an mangelnden Therapieplätzen, sondern auch daran, dass viele Patientinnen und Patienten auf niemanden angewiesen sein wollen, um ihre psychischen Probleme zu überwinden, sagt Klein.

Trotz mancher Ressentiments ist Probst zuversichtlich, dass sich Apps und digitale Tools innerhalb der Therapie auch in Österreich durchsetzen werden. Dieser Trend sei unaufhaltbar. In Österreich sind derzeit 23 Therapiemethoden gesetzlich anerkannt. "Von diesen wurden manche durch weniger Studien getestet als einige Online-Therapieprogramme. (Allegra Mercedes Pirker, 13.9.2021)