Wahlsieger Aziz Akhannouch könnte Premier werden.

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Das hatte so niemand erwartet: Die seit zehn Jahren in Marokko regierende, gemäßigt islamistische Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (PJD) von Ministerpräsident Saad-Eddine El Othmani erlitt bei den Parlamentswahlen am Mittwoch, die zeitgleich mit den Kommunal- und Regionalwahlen abgehalten wurden, eine herbe Niederlage. Künftig hat die PJD statt bisher 195 nur noch zwölf Sitze im 395 starken Parlament in Rabat.

Dieses vorläufige Ergebnis gab Innenminister Abdelouafi Laftit um drei Uhr in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag bekannt. Demnach gewann der bisherige Koalitionspartner der Islamisten, die Gruppierung Unabhängige Nationalversammlung (RNI), die Wahlen. Die Partei unter Führung eines der reichsten Männer des Landes, des bisherigen Landwirtschafts- und Fischereiministers, Aziz Akhannouch, kommt auf 97 Sitze, gefolgt von der ebenfalls liberalen Partei für Ehrlichkeit und Modernität (PAM) die vor 13 Jahren von einem Berater von König Mohamed VI. gegründet wurde.

Kaum mehr als 50 Prozent gingen wählen

Nach einer Wahlrechtsreform wird das neue Parlament wesentlich zersplitterter sein als bisher. Unter anderem wurde die Drei-Prozent-Hürde gestrichen. Mit 50,35 Prozent war die Wahlbeteiligung höher als vor fünf Jahren. Damals fanden nur 43 Prozent den Weg an die Urnen.

Große Wahlkampfveranstaltungen gab es in Zeiten der Pandemie keine. Und da in Marokko Umfragen verboten sind, kam das Ergebnis völlig überraschend. Alle gingen von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PJD und RNI aus. Dass die PJD nach zehn Jahren an der Regierung Stimmen verlieren würde, galt als sicher, aber dass der Verlust so stark ausfallen würde, ahnte niemand.

Königsfreund am Drücker

Dieses Ergebnis stärkt Mohamed VI. erheblich. Laut der Verfassung von 2011, die dem Parlament wesentlich mehr Macht einräumte, muss der König jetzt einen Regierungschef aus den Reihen der stärksten Fraktion, in diesem Falle die RNI, ernennen. Doch Innen-, Außen und Religionsminister bestimmt er selbst.

Das dürfte ihm anders als 2011 und 2016, als die Islamisten gewannen, nicht weiter schwerfallen. Denn RNI-Chef Akhannouch gilt als persönlicher Freund des Monarchen, er wird von Forbes auf Platz zwölf der reichsten Männer Afrikas geführt und spendete Millionen an ein Corona-Projekt des Königs. Akhannouch, der vor allem mit Öl- und Erdgasgeschäften zu Reichtum kam, gilt als wirtschaftsliberal. Seine RNI pumpte so viel Geld in den Wahlkampf wie keine andere Partei.

Aus der geschlagenen PJD wurden noch in der Wahlnacht Stimmen laut, die von Wahlbetrug sprachen. Einige Parteivertreter beklagten Stimmenkauf. Es sei zu "obszöner Geldverteilung" im unmittelbaren Umfeld der Wahllokale gekommen. Innenminister Laftit widersprach dieser Darstellung: Bis auf "Einzelfälle" sei die Abstimmung "unter normalen Umständen" verlaufen. Das endgültige Wahlergebnis wollte er im Laufe des Donnerstags bekanntgeben. (Reiner Wandler, 9.9.2021)