Die Zahl der Lehrlinge sinkt seit Jahren, nicht nur aus demografischen Gründen. Die Wirtschaft wirbt um Nachwuchs, dennoch fühlen sich viele Jugendliche von den Betrieben während der Krise im Stich gelassen.

Foto: APA/Senoplast

Wien – Wer danach fragt, wie es um Österreichs Lehrlinge bestellt ist, erhält drei verschiedene Antworten. Unternehmer beklagen einen wachsenden Mangel an Nachwuchs: Viel zu wenige Jugendliche würden sich um Lehrstellen bemühen. Jene, die sich fänden, entsprächen oft nicht den Erwartungen der Wirtschaft – was ihre Schulbildung und soziale Kompetenz betreffe. Allein der Handel bräuchte 2000 zusätzliche Lehrlinge, rechnet Handelsverbandspräsident Stephan Mayer-Heinisch vor. Möbelhändler Lutz etwa hat derzeit 150 von 650 Lehrstellen unbesetzt.

Die Welt, die Josef Rehberger von der Situation der Lehrlinge zeichnet, ist eine andere. Der stellvertretende Bundesjugendvorsitzende des ÖGB erzählt von Jugendlichen, die in der Krise die Lehrstelle verloren, die ihre Ausbildung unterbrechen mussten und vom Homeschooling wegen fehlender eigener Laptops überfordert waren. Viele hätten Angst, an der Abschlussprüfung zu scheitern. Andere seien zwar ausgebildet, würden jedoch infolge der Nachwehen der Pandemie von den Betrieben nicht als Mitarbeiter übernommen.

"Angstzustände"

Die Gewerkschaft befragte jüngst gemeinsam mit zwei Universitäten 1.440 Jugendliche querbeet durch die Branchen. Das Ergebnis der Umfrage nennt Rehberger besorgniserregend. Ein Drittel der Lehrlinge habe Angstzustände. Die Hälfte leide an Depressionen oder Essstörungen.

Jugendliche in der Arbeitswelt erlebten den Druck, der sich durch Corona aufbaute, in oft kleinen Unternehmen, abgekoppelt vom Umfeld, teils noch stärker als Schüler, warnt Rehberger. Er appelliert an Arbeitgeber, mehr Verständnis für die Belange der Jungen zu zeigen. Unternehmer erleben die Ausbildung des Nachwuchses an Fachkräften allerdings in einem weit freundlicheren Licht, zumindest aus Sicht ihrer Interessenvertreter. Im Auftrag der Wirtschaftskammer hörte sich im August etwa das Market-Institut unter 500 Lehrlingen um.

"Viele Glückliche"

Acht von zehn zeigten sich glücklich mit der Lehrstelle, sagt die Vize-Generalsekretärin der WKO, Mariana Kühnel. Unzufrieden seien allein vier Prozent. 76 Prozent würden sich sofort wieder für die Lehre entscheiden, 77 Prozent vertrauten darauf, leicht einen Arbeitsplatz zu finden. "Die Chemie stimmt, Lehrlinge sind keine Mitarbeiter zweiter Klasse. Sie erfahren Lob, Anerkennung, Freude", ist Market-Vorstand David Pfarrhofer überzeugt.

"Hier redet man sich was schön", meint hingegen Rehberger, an den erst dieser Tage neue Fälle herangetragen wurden, in denen Lehrlinge von 15-Stunden-Arbeitstagen und drohendem Lehrstellenverlust infolge psychischer Probleme berichten.

Halb so viele Bewerber

Derzeit bewerben sich in Österreich um die Hälfte weniger Jugendliche um Lehrstellen als vor der Krise. Kühnel betont, dass sich das jedoch nicht auf die Gesamtzahl der Lehrlinge auswirkt.

Im August zählte Österreich insgesamt fast 92.000 Lehrlinge – "um nur 0,5 Prozent weniger als im Jahr davor". Hiobsbotschaften, dass die Zahl an Lehrlingen im Zuge der Krise um ein Fünftel einbrechen könnte, hätten sich nicht bewahrheitet. Der mit März ausgelaufene Lehrlingsbonus förderte mit 49,5 Millionen Euro gut 25.000 Lehrstellen. Der Gewerkschaft zufolge bilden jedoch nur 20 Prozent der Betriebe aus.

Das AMS meldet aktuell 13.846 offene Lehrstellen und 10.107 Lehrstellensuchende. Wer in AMS-Schulung ist oder überbetrieblich ausgebildet wird, ist darin nicht eingerechnet. (Verena Kainrath, 10.9.2021)