Helmut Schmuck, hier 2001 beim Lienzer Dolomitenmann, wollte laufend schnell hoch hinaus.

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Der Polizist Schmuck (58) will gesund und fit bleiben.

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Wir schreiben den 10. April 1988. In Afghanistan stehen die UdSSR-Truppen vor dem Abzug, in Berlin steht eine Mauer, und in Wien steht der letzte Marathon an, der nicht von Wolfgang Konrad veranstaltet wird. Gleichzeitig ist es der erste Marathon, den Helmut Schmuck in Angriff nimmt. Der Pinzgauer, so ist es ausgemacht, soll einen Tempomacher geben, einen "Hasen", wie es heißt im Jargon.

Schmuck, das ist eher ungewöhnlich, trägt eine lange Laufhose, ein Stirnband und Handschuhe. "Ich wollte eigentlich bei Kilometer 25 aussteigen, dann vielleicht langsam weiterjoggen." Doch Schmuck fühlt sich so gut, dass er weiter und gar an die Spitze rennt. Falscher Hase quasi. Am Ende sprintet er auf der Ringstraße gegen den Jugoslawen Mirko Vindiš um den Sieg, Vindiš entscheidet das Duell in 2:17:50 Stunden mit fünf Sekunden Vorsprung für sich.

Australisches Kanu

"Ich war kein Sprinter", sagt Helmut Schmuck (58) heute fast entschuldigend. Ursprünglich war er nicht einmal Läufer, sondern Paddler. Naheliegend für einen, der in Sankt Martin bei Lofer im Pinzgau aufwächst und dessen Elternhaus nur 300 Meter entfernt von der Saalach steht. Die Eltern vermieteten Zimmer an ausländische Kanuten, die zum Training und zu Wettkämpfen kamen. Einmal war ein Australier zu Gast, der sein Kanu lieber dalassen als wieder mit nach Hause nehmen wollte. "Ich hab ihm mit meinem Lehrlingsgeld alles abgekauft", sagt Schmuck, der damals Tischler lernte und dem Australier 2000 Schilling gab.

Seine Domäne war die Wildwasserregatta, Schmuck erwies sich als talentiert, wenn auch nicht als herausragend. Er kam bei Meisterschaften aufs Stockerl und zu zwei WM-Teilnahmen. Und dann führte der Zufall Regie. Eine Paddelkollegin war mit dem Mittel- und Langstreckenläufer Robert Nemeth liiert und dieser mit auf Trainingslager. Bei einer Laufrunde in der Früh blieb Helmut Robert auf den Fersen, bald erkannte auch Trainer Hubert Millonig die Anlagen des Salzburgers. Schmuck stieg aus dem Kanu, schnürte die Laufschuhe und war froh, nun mit leichtem Gepäck zu reisen. "Eine kleine Tasche mit den Laufschuhen drinnen, viel mehr brauchst du nicht."

Der Umstieg kam ihm in mehrfacher Hinsicht entgegen. Als angehender Gendarm konnte er sich das Training einteilen, schon in aller Früh seine Runden drehen. Dazu kam eine körperliche Komponente. "Muskulär war ich nicht so ausgeprägt, ich bin eher ein leptosomer Typ, ein schlaksiger." Als Spitzensportler brachte er mit 1,80 Meter Körpergröße 58 Kilogramm auf die Waage – auch heute sind es übrigens bloß drei Kilo mehr.

Geplatztes Duell

Der erste Marathon ist also mehr oder weniger passiert, die anderen waren kein Zufall mehr. Seine Bestzeit hat Helmut Schmuck sukzessive verbessert, bis auf 2:13:17 Stunden, erzielt 1990, ebenfalls in Wien. Im Jahr rief Veranstalter Konrad ein Duell zwischen Gerhard Hartmann und Schmuck aus, sie sollten und wollten Hartmanns Rekord aus dem Jahr 1986 attackieren (2:12:22). Daraus wurde nichts, weil sich Hartmann verletzte und Schmuck erschöpft aufgeben musste. "Ich hatte in der Euphorie am Schluss etwas zu viel trainiert."

Anfang und Mitte der 1990er-Jahre lag der Weltrekord knapp unter 2:07 Stunden – kein Vergleich zu heute (2:01:39). "Es war im Marathon die Zeit vor den Afrikanern", sagt Schmuck, der sich 1992 über die Olympia-Teilnahme in Barcelona (Rang 47) und immer wieder über "schöne Preisgelder" freute. Für einen Podestplatz in Wien habe er 30.000 bis 40.000 Schilling kassiert.

Logische Konsequenz

Doch die Zeiten änderten sich, vor allem die Spitzenzeiten, schon bald hatte man mit 2:13 keine Chance mehr auf Topresultate. Der Wechsel zum Berglauf war für Schmuck eine logische Konsequenz. Das ließ sich auch besser mit beruflichen Herausforderungen vereinbaren. "120 bis 140 Kilometer Training pro Woche waren ausreichend, im Marathon wären 160 Kilometer oder mehr nötig gewesen." Schmuck, der 5000 Meter knapp unter 14 Minuten und 10.000 Meter knapp unter 29 Minuten zurückgelegt hat, wurde einer der besten Bergläufer der Welt, nicht selten war er der allerbeste, zwei WM-Titel zeugen davon. Elf seiner 22 Leichtathletik-Meistertitel hat er im Berglauf geholt. 2004 war er als 41-Jähriger zum letzten Mal Meister in der allgemeinen Klasse. Er profitierte von der vergleichsweise kleineren Dichte an der Spitze – und von seinem großen, raumgreifenden Schritt.

Schmuck ist längst nach St. Margarethen bei Knittelfeld übersiedelt, Vater einer erwachsenen Tochter, die Juristin ist, und Gruppeninspektor bei der Polizei. Solist ist er auch. "Es ist natürlich schwierig für eine Frau, wenn einer jeden Tag trainieren geht." Laufen, Walken, Klettern, Mountainbiken stehen alternierend auf dem Programm, außerdem hilft Schmuck dem Leichtathletikverband (ÖLV) als Berglaufreferent.

Das Ziel ist es, möglichst lange "gesund und fit zu bleiben", danach richtet er sein Leben aus, was nicht heißen soll, dass er sich nicht ab und zu ein Glas Wein oder "gegen den Durst ein, zwei Radler" genehmigen würde. Zur Ruhe kommt er jedenfalls selten. Der kommende Sonntagvormittag wird eine Ausnahme sein. Da nimmt Helmut Schmuck vor dem Fernseher Platz und gibt sich den Vienna City Marathon, den er 1988 als falscher Hase fast gewonnen hätte. (Fritz Neumann, 10.9.2021)