Ein Schild warnt "Vorsicht, Krötenwanderung". Eine Katze schleicht gemächlich über den Asphalt. Rechts wuchernde Hecken, Äcker im Sprühnebel, links vernagelte Fenster, leere Gärtnereien. Am Horizont hinter den Feldern die Skyline der Donauplatte. Die Nordmanngasse im Wiener Donaufeld ist eine verzauberte Welt für sich – und eine Welt im Umbruch. Die Großstadt scheint hier noch weit weg, doch sie steht buchstäblich schon auf der Fußmatte. Hier wird bald ein neues, verdichtetes Wohnquartier emporwachsen und die Lücke zwischen Floridsdorf und Kagran schließen, eine Bürgerinitiative kämpft dagegen.

Innovation zum Anfassen: Holzbau Vivihouse im Donaufeld und...
Foto: Dieter Henkel (Vivihouse)

Hinter einem Bauzaun ist schon etwas gewachsen: ein kleiner kantiger Turm aus Holz, mitten im Nichts. Drei Kisten unten, darauf zwei, darauf eins, rechts und links kippt keck eine Diagonale heraus. Freundlich auch sein Name: Vivihouse. Innen stehen drei junge Architekten zwischen Holzplatten, Bohrern und Staub. Michael Fürst, Nikolas Kichler und Paul Adrian Schulz sind wie so oft auf der Baustelle. Sie haben das Baukastensystem erdacht, das zu 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht, entwickelt wurde es an der TU Wien mit Professorin Karin Stieldorf, entworfen und gebaut wurde es von 150 Studenten, an geleitet von niederösterreichischer Holzbauexpertise. Vier Jahre lang wuchs das Projekt heran, jetzt stehen seine Türen offen. Das Vivihouse ist eines von fünfzig Häusern, die an diesem Wochenende beim 8. Open House Wien besichtigt werden können.

"Unser Ziel war es, ein System zu finden, das einen einfachen Selbstbau für jeden ermöglicht und an viele Orten produziert werden kann", sagt Nikolas Kichler. Die Grundbausteine, die das Tragwerk aus Holz bilden, sind für sechs Geschoße dimensioniert, denn es soll keine Einfamilienhaus-Spielerei sein, sondern in der Stadt seinen Platz finden, als Wohnhaus, Bürohaus oder Mischung aus beidem. "Der Prozess war sehr intensiv, dabei war uns wichtig, dass wir das Wissen der Handwerker auf dem Land und der Akademiker und Studenten in der Stadt zusammenbringen, damit beide voneinander lernen", erklärt Paul Adrian Schulz. Nach erfolgreichem Lern- und Bauprozess kamen die optimierten Bauteile in sechs Sattelschlepper-Ladungen ins Donaufeld. Das Grundstück wurde über die IBA Wien 2022 bereitgestellt, mindestens vier Jahre wird das Vivihouse hier stehen und als Infopavillon und Diskussionsort für die Stadtentwicklung dienen.

...der Smart Block Geblergasse in Hernals.
Foto: Lisi Zeininger

Voneinander lernen

Vom idyllischen Stadtrand mitten ins Verkehrsgewühl an den Hernalser Gürtel. Auch hier hat ein Pilotprojekt Gestalt angenommen, auch wenn es nicht gleich erkennbar ist. Dazu muss man am besten ins Kellergeschoß des Gründerzeitblocks an der Geblergasse hinabsteigen, wo ein meterdickes Bündel aus Kabeln und Rohren das Gewölbe durchstößt wie die Finger eines Techno-Aliens. Eine Ringleitung, die die benachbarten Häuser zu einem neuen Ganzen verbindet, denn der Smart Block Geblergasse wird durch sie zur Energiegemeinschaft. Unsichtbar darunter: 120 Meter tiefe Bohrpfähle, die die sommerliche Sonnenenergie für den Winter speichern.

50 Hausschlüssel: die Open-House-Organisatorinnen Ulla Unzeitig (li.), Iris Kaltenegger.
Foto: Petra Rautenstrauch

Initiiert wurde der Smart Block in einem Forschungsprojekt der Architektinnen Jutta Wörtl-Gössler und Ulrike Machold, umgesetzt von Architekt Johannes Zeininger, mit dem Ziel, das gründerzeitliche Potenzial der dichten Stadt für das "gute Leben" im 21. Jahrhundert nutzbar zu machen, wie es stolz heißt. Ein ganzer Block wird dank eines dezentralen Anergienetzes (nein, das ist kein Schreibfehler) autark, und das, ohne dass die Häuser ersetzt werden müssen. "Bei den meisten privaten Hausbesitzern liegen zurzeit die Errichtung und der Betrieb eines liegenschaftsübergreifenden Energienetzes außerhalb ihres Wahrnehmungsfeldes," sagt Zeininger. "Durch das Contracting-Modell können aber die höheren Anfangsinvestitionskosten dieser nachhaltigen Alternative für die Nutzer gleichmäßig auf die gesamte Laufzeit des Vertrags aufgeteilt werden."

Auch der Smart Block Geblergasse gehört zum Open-House-Programm, das sich in diesem Jahr besonders auf das Thema Resilienz konzentriert. Konsequenterweise geht es also um mehr, als in die Räume hinter schönen Fassaden zu schauen. Es geht um Energienetze, Contracting-Modelle und Holzbau-Knotenverschraubungen. Komplexe Zusammenhänge, die nicht auf den ersten Blick verständlich und im Vorbeigehen konsumierbar sein mögen, doch genau das ist der Punkt, sagen die Open-House-Macherinnen.

Die Garage Grande ist auf den ersten Blick ein abweisend wuchtiges Beton-Trumm in Ottakring.
Foto: Maik Novotny

"Einen niederschwelligen Zugang ermöglichen, Dinge anstoßen, Begeisterung auslösen, das ist das Ziel von Open House, und so funktioniert das Lernen ganz automatisch", sagt Ulla Unzeitig. Dinge anstoßen, das ist so etwas wie die heimliche Mission des Besichtigungsformats, denn zwischen Erklärern und Besuchern – oder auch zwischen Besuchern untereinander – ergeben sich oft unerwartete Synergien, sagt Iris Kaltenegger aus der Erfahrung bisheriger Events. "Empowerment ist uns wichtig. Deshalb haben wir Orte im Programm, die gratis zugänglich sind und an denen man voneinander lernen, Wissen teilen und gemeinsame Projekte starten kann."

Eines dieser partizipativen Projekte ist die Garage Grande, ein auf den ersten Blick abweisend wuchtiges Beton-Trumm in Ottakring. Die ehemalige Parkgarage war für heutige Autos zu eng geworden, jetzt wird sie für drei Jahre zwischengenutzt. Bienen fliegen aus und ein, Pflanzen ranken empor, drinnen finden Nachbarschaftsinitiativen Raum – ein Open House im wahrsten Sinne und eines von vielen Projekten, das zur postpandemischen Aktivität und Solidarität ermutigt. Stadt zum Selbermachen. (Maik Novotny, 11.09.2021)