"Das wird super!" Der Musiker Sven Regener kommt im November nach Wien.

Foto: Galiani-Verlag

Schau, da hast du ihn! Das ist der Aufschäumer. Und damit machst du dann die Melange!", sagte Kacki. Frank Lehmann zog am Hebel und wie erwartet kam der Dampfstrahl aus dem darunter angebrachten Metallrüssel.

"Genau so!", sagte Kacki.

Das nervte. Denn sosehr sich Frank Lehmann gefreut hatte, dass er die Frühschicht im Café Einfall machen durfte, denn so nannte Chrissie das, was sie hier gegen den hartnäckigen Widerstand ihres Onkels, des Café-Einfall-Besitzers Erwin Kächele, eingeführt hatte, Frühschicht, so als wäre das Café Einfall ein Stahlwerk oder ein Krankenhaus, aber egal, so froh Frank Lehmann also war, dass Chrissie heute mit ihrer Mutter zu Ikea fahren und ein paar Möbel kaufen musste und er nach dem Putzen der Kneipe gleich dableiben konnte, um an Chrissies statt die Frühschicht hinter dem Tresen durchzuziehen, so sehr ging es ihm andererseits auf den Wecker, dass die einzigen Kunden, die sich bis jetzt eingefunden hatten, diese beiden Leute aus der ArschArt-Galerie waren, der, den sie Kacki, und der, den sie Jürgen 3 nannten, weil Kacki gleich mit dem Thema Milchaufschäumen angefangen hatte, und jetzt kriegten sich die beiden gar nicht mehr ein, Milchaufschäumen hier, Milchaufschäumen da, und das nur, weil sie statt eines normalen Filterkaffees, wie er nun mal Standardmäßig aus der großen alten Gastrokaffeemaschine kam, die Karl Schmidt, der mit Frank Lehmann, Chrissie und H. R. Ledigt direkt über dem Café Einfall wohnte, immer Centre Pompidou nannte, weil sie also statt eines normalen Filterkaffees aus dem Centre Pompidou nun unbedingt eine Melange haben wollten, was immer das sein sollte, "damit kann man nämlich auch eine Melange machen", hatte Kacki gesagt, "auf jeden Fall etwas, das einer Melange ähnlich wär!", und das hatte etwas mit Milchaufschäumen zu tun und mit dem Metallrüssel am Centre Pompidou und damit, dass da Dampf rauskam, mit dem man Milch aufschäumen konnte, was Frank Lehmann natürlich schon gewusst hatte, was den beiden aber herzlich egal war, sie machten immer weiter und weiter damit, Milchaufschäumen hier, Milchaufschäumen da, es hörte überhaupt nicht mehr auf und kein Ort, an dem man sich davor verstecken konnte!

Bescheuerte Melange

Andererseits aber wollte er auch nicht unfreundlich sein, die beiden ArschArt-Leute waren seine einzigen Kunden, das war ja das Schwierige an diesem Beruf, dass man die Beherrschung nicht verlieren und die Kunden nicht vergraulen durfte, und deshalb sagte er möglichst konziliant, nachdem er ein weiteres Mal den Dampfhebel bedient hatte, um seinen Worten mit dem Zischgeräusch Nachdruck zu verleihen: "Was für eine bescheuerte Melange denn überhaupt?!", obwohl ihn das natürlich nicht interessierte, er die Frage nur stellte, um überhaupt auch mal wieder etwas gesagt zu haben und gegen die beiden österreichischen Melange-Folklorefreaks in die Offensive zu kommen.

"Schau", sagte Jürgen 3, von dem Frank Lehmann wusste, dass er auch ganz normales, unauffälliges Hochdeutsch sprechen konnte, wenn er wollte, der jetzt aber onkelhaft weich und mit einer Mimik sprach, die Frank Lehmann an Filme erinnerte, die er als Kind sonntagnachmittags immer im Fernsehen gesehen hatte, Filme mit Leuten wie Paul Hörbiger und Hans Moser und dergleichen, jedenfalls sagte Jürgen 3 nun paulhörbigergleich: "Schau, das, was die Italiener Cappuccino nennen, das nennen wir Österreicher Melange. Weil wir’s erfunden haben und nicht die Italiener! Und sicher nicht der Deutsche, der das, selbst wenn er es Cappuccino nennt, mit Sahne macht, mit Sahne! Das habe ich selbst erlebt", wandte er sich entrüstet an seinen Landsmann Kacki, er drehte sich auf seinem Hocker zu ihm hin und runzelte die Stirn, und Frank Lehmann wurde das Gefühl nicht los, dass er gerade einer Laientheateraufführung beiwohnte, wobei der eine den Paul Hörbiger und der andere den Peter Alexander gab, Charleys Tante quasi, nur ohne Frauenkleider, und Kacki Alexander sagte auch sogleich: "Es ist aber eben auch so, dass sie noch nicht einmal einen Mokka mit ihrer Maschine zusammenbringen, das ist ja das Traurigste, dass sie zwar einen Dampfhebel für eine Melange haben an ihrer deutschen Maschine, aber dann können sie den Milchschaum nur auf ihren furchtbaren Filterkaffee obendrauf tun, des is scho arg!"

Mit Sahne

"Wenn sie das nicht sowieso gleich mit Sahne machen!", sagte Jürgen 3.

"Med eanam Obers, des pack i net!", stimmte Kacki zu. Frank hätte die beiden gerne rausgeschmissen, aber er machte sich keine Illusionen: Wenn man es nicht bald erreichen würde, in der Frühschicht vom Café Einfall wenigstens so viel Umsatz zu machen, dass man sich am Ende der Schicht seinen Lohn aus der Kasse nehmen konnte, ohne dabei das Wechselgeld zu plündern, wenn man also Erwin Kächele weiterhin darum würde bitten müssen, sein Portemonnaie aus der Hosentasche zu ziehen und ein oder zwei Scheine herauszugeben, bloß damit man nicht umsonst gearbeitet hatte, dann gute Nacht, Frühschicht, dachte er, und er wusste, wenn die Frühschicht fiel, dann würde Chrissie ihm den Putzjob abjagen, mit dem er im Augenblick im Café Einfall seine Brötchen verdiente, Blut, da machte Frank Lehmann sich nichts vor, war dicker als Wasser, selbst bei Erwin Kächele, und dann hieß es für Frank Lehmann, Ex-Speditionskaufmann, Ex-Bremer, Ex-Wehrpflichtiger, Ex-Selbstmordvortäuscher und kleiner Bruder von Manfred Lehmann, sich einen Job auf dem offiziellen Westberliner Arbeitsmarkt zu suchen, und dafür war er noch nicht bereit.

"Am Ufer machen sie damit Milchkaffee", sagte er, um den beiden Alpenrepublikchauvinisten etwas entgegenzusetzen, "mit Filterkaffee, das ist da ein Riesending, die schäumen da Milch auf, als wenn’s kein Morgen gibt, und die Leute trinken das wie blöd, aber das sind größtenteils auch keine Österreicher", fügte er gallig hinzu, "deshalb kommen die prima damit klar."

"Ja, da machen die einen auf französisch", sagte Jürgen 3 unbeeindruckt, "grad dass sie es nicht Café au Lait nennen. Die haben sogar diese albernen Schalen, in denen das dann daherkommt, aber innen drin ist immer der deutsche Filterkaffee."

Alpenrepublikchauvinisten

"Das ist wie die ganzen Menschen hier", sagte Kacki, "die sind genauso, außen machen sie einen auf französisch, aber innen drin, da steckt der Deutsche!" Frank nickte. Er verstand die beiden eigentlich ganz gut, auch wenn sie Unsinn redeten, sie hatten Heimweh und kamen in Berlin nicht klar, ihm ging es genauso, ihm fiel es hier auch nicht leicht, er war bloß hergekommen, weil er nach einem Rausschmiss aus der Bundeswehr seinen Bruder treffen und um Rat fragen wollte, aber der steckte gerade in einer Anstalt am Kudamm fest, wo sie irgendwelche Psychopharmaka an ihm ausprobierten, und gleich danach wollte sein Bruder dann nach New York gehen, was also tat er, Frank Lehmann, in dieser Stadt, die jetzt, Anfang Dezember, immer kälter und kälter und immer dunkler und dunkler wurde, deren Luft als gelber Nebel unbeweglich in den Straßen stand und die Lungen und Gemüter verpestete, und nun stand auch noch die Frühschicht und damit sein Putzjob auf der Kippe, es war alles nicht einfach.

Aber es gab auch Hoffnung: Vor kurzem war er am Paul-Lincke-Ufer unterwegs gewesen, mit Chrissie, mit der er gut klarkam, zu gut vielleicht, letzte Nacht hatte er von ihr geträumt, ein verwirrender, sexverstrahlter Traum war das gewesen, er mochte gar nicht daran denken, jedenfalls war er mit ihr am Paul-Lincke-Ufer unterwegs gewesen, weil sie beim Bilka am Kottbusser Damm Lebensmittel einkaufen wollten, und dabei waren sie an drei Cafés vorbeigekommen, alle gestopft voll, vormittags schon, und in eins waren sie zu Forschungszwecken hineingegangen, da hatten die Leute gefrühstückt, als würden sie dafür bezahlt, riesige Teller mit Schinken, Wurst, Käse, Marmelade, Brötchen, Butter und Obst hatten sie in sich hineingeschlungen, vor allem aber hatten sie Milchkaffee getrunken, das war Frank aufgefallen, jeder Mensch, der dort gesessen hatte, hatte eine Suppenschale mit Milchkaffee vor sich auf dem Tisch stehen, daran erinnerte er sich jetzt, und er war sich sicher, dass man, um die Frühschicht im Café Einfall zum Laufen zu bringen, Milchkaffee anbieten musste, das war eindeutig das angesagte Getränk!

Sven Regener präsentiert seinen Roman "Glitterschnitter" am 13. November, 20 Uhr im Rabenhof-Theater in Wien.

"Des is sowas von schirch!", sagte Kacki jetzt. "Sagt mal, ihr beiden", sagte Frank, "warum macht ihr eigentlich neuerdings bei der ArschArt alle so penetrant einen auf Österreicher?" "Na geh! Wir sind Österreicher!", sagte Kacki. "Ja, aber ihr habt das doch bis jetzt eher verheimlicht!" "Jetzt nicht mehr!", sagte Kacki. Jürgen 3 nickte zufrieden. "Jetzt sind wir stolz drauf!", sagte er. (VORABDRUCK, 11.9.2021)