Sara Ostertag (oben) arrangiert...

Foto: Appolonia Bizant

ein Treffen von Jeanne Werner, Tilman Rose und Clara Luzia auf Manns "Zauberberg".

Foto: Alexi Pelekanos

Ruth Brauer-Kvam schaut sich Bert Brechts Herrn Puntila samt Knecht genauer an.

Foto: Eva Mayer

Jeder Blick auf einen beliebigen Spielplan bestätigt es: Geschlechtergerechtigkeit ist am Theater noch lange nicht erreicht. An den Frauen, die es nicht gibt oder die halt einfach nicht "gut" genug sind (was immer wieder als Argument angebracht wird), liegt es jedenfalls nicht. Das zeigt anschaulich die kommende Saison am Landestheater Niederösterreich. Da gibt es nämlich so einige Frauen zu entdecken, und "gute" noch dazu.

Den Anfang macht die großartige Sara Ostertag, tätig nicht nur nach wie vor als Dramaturgin der radikalen Wiener Choreografin Florentina Holzinger, sondern vor allem auch als eine der spannendsten Regisseurinnen, die aktuell in Österreich zu finden sind: zuletzt etwa mit ihrer bejubelten Inszenierung von Das große Heft am Kosmostheater Wien, die beim Nachtkritik-Theatertreffen 2020 unter die zehn besten Inszenierungen gewählt wurde.

Zauberberg des Wohlstands

Nun hat sie sich Thomas Manns Zauberberg vorgenommen: ein Werk, so magisch wie monströs. Ostertag liest den Roman treffend als Parabel auf den Zustand unserer Wohlstandsgesellschaft und holt sich wie schon in früheren Arbeiten musikalische Unterstützung von der österreichischen Singer-Songwriterin Clara Luzia.

Schauspielerin und Regisseurin Ruth Brauer-Kvam, die in St. Pölten zuletzt Molières Schule der Frauen auf die Bühne brachte, inszeniert in dieser Saison Brechts komödiantische Parabel Herr Puntila und sein Knecht Matti. Mit Livemusik (Miloš Todorovski am Akkordeon) macht Brauer-Kvam daraus eine lustvolle Selbstermächtigung ihrer Figuren.

Die 1989 geborene Jana Vetten inszeniert in der Bühne im Hof Guus Kuijers Wir alle für immer zusammen, eine Geschichte über die Zumutungen und den Zauber des Erwachsenwerdens. Die elfjährige Polleke hat es wirklich nicht einfach: Nicht nur, dass ihre Eltern sich getrennt haben, ihr Vater, vorgeblich Schriftsteller, entpuppt sich als Traumtänzer, ihre Mutter ist seit neuestem mit Pollekes Lehrer zusammen.

Experiment mit Diskurs

Helfen könnte ihr Freund Mimun, aber der ist Muslim, weshalb sie ihn nicht mehr treffen darf. Aber immerhin gibt es noch ihre Freundin Caro, die Großeltern und deren Bauernhof – und die Gedichte, die Polleke schreibt. Vetten bringt die Geschichte über ein Mädchen, das oftmals mehr Stärke und Entschlossenheit zeigt als die Erwachsenen, mit Livemusik der österreichisch-kurdischen Künstlerin und Sängerin Scharmien Zandi auf die Bühne.

Immer noch höchst aktuell ist Henrik Ibsens Ein Volksfeind oder Das Ringen um Wahrheit: Die Frage, was stärker wiegt, Gesundheit und einzelne Menschenleben oder Ökonomie, wurde und wird in der Corona-Pandemie wieder heftig diskutiert – und nach wie vor lässt sich keine eindeutige Antwort finden.

Nicht zuletzt deshalb wagt Anne Bader in ihrer Inszenierung ein Experiment: Die Produktion ist ein Hybrid aus Theater und Diskurs. Im Rahmen der Inszenierung will Bader zusammen mit dem Publikum und Expertinnen und Experten sowie gesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren die aktuell wieder so dringend gewordenen Fragen nach Verantwortung und Freiheit, Wirtschaft und Klimaschutz, Tourismus und Gesundheit diskutieren.

Ein sehr besonderes Projekt ist schließlich Die Reise nach Franz Kafka, W. G. Sebald und anderen, eine Koproduktion mit der Performanceplattform Terén aus Brünn.

Geschichten ohne Grenzen

Zusammen mit ihrem deutsch- und tschechischsprachigen Ensemble begibt sich die 1990 geborene Prager Regisseurin Anna Klimešová auf eine literarische Suche an die seit dem Fall des Eisernen Vorhangs wieder offene Grenze zwischen Österreich und Tschechien, Wien und Prag. An Orte und zu Bevölkerungen, die im Habsburgerreich so eng miteinander verbunden waren, dass Wien nach Prag als zweitgrößte "tschechische" Stadt gelten konnte und Prag eine prägende Anzahl an deutschsprachigen Einwohnern hatte, nicht zuletzt der wohl berühmteste deutschsprachige Prager Franz Kafka.

Inspiriert von Kafkas Reisetagebüchern, Sebalds Gedanken über Heimat und Fremde, Stifters Werken oder jenen des deutsch-böhmischen Schriftstellers Hans Watzlik sucht Klimešová, die unter anderem Gründerin der Kulturgemeinschaftsplattform Horní Maršov – Open Museum im Riesengebirge ist, in ihrer zweisprachigen Inszenierung nach den Geschichten, die in den Wäldern und Ortschaften zwischen Brünn und St. Pölten verborgen liegen.

Regisseur Rikki Henry, seit 2020 Träger des Nestroy-Preises.
Foto: Michael Obex

Sein oder Schein bei lebensverändernden Haarfarben

Klassiker des Theaters, anvisiert von Rikki Henry, Moritz Beichl und Alexander Pschill mit Kaja Dymnicki

St. Pölten – Othello, Leonce und Lena, Der Talisman: Sie stammen zwar aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern, sind aber sämtlich hinlänglich bekannte Theatertexte des europäischen Kanons. Im Landestheater kann man nun davon ausgehen, dass diese Stücke in einem etwas anderen Kleid daherkommen, sind doch dabei Regisseurinnen und Regisseure am Werk, die für ihre im besten Sinn eigenwilligen Zugänge bekannt sind – und die man sich genau deshalb merken sollte.

Othello, eines der bekanntesten und meistgespielten Stücke von Shakespeare, wird mit dem in London geborenen und an der renommierten Brit School for Performing Arts ausgebildeten Rikki Henry von einem Regisseur inszeniert, der sich bereits einen Namen gemacht hat.

Queer-feministischer Fokus

Für seine Hamlet-Inszenierung am Landestheater Niederösterreich wurde er 2020 mit dem Nestroy für die beste Bundesländer-Aufführung ausgezeichnet. "Eine grandiose Aufführung, die man lange nicht vergisst. Ein Shakespeare, heutig, relevant und packend", hieß es in der Jury-Begründung.

Ebenfalls schon einen Nestroy im Regal hat sein 1992 in Wien geborener Kollege Moritz Beichl, der 2019 für seine Inszenierung von Paulus Hochgatterers Roman Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war die Auszeichnung als bester männlicher Nachwuchs absahnte. Auch diese Uraufführung wurde in St. Pölten am Landestheater erarbeitet und von der Jury vor allem für ihre Konzentration gelobt. Beichl habe "in seiner dichten, atmosphärisch starken Inszenierung ein Experiment" gewagt, das "mehr als aufgeht".

Was wird Beichl, der auch Dramatiker und Dichter – und für seinen queer-feministischen Fokus bekannt – ist, wohl mit der adoleszenten Sinnkrise von Georg Büchners Leonce und Lena anstellen?

Herz politisch am richtigen Fleck

Nestroys Talisman wird von Alexander Pschill und Kaja Dymnicki inszeniert, die als Teil des Wiener Bronski-&-Grünberg-Theaters auch schon für den Nestroy-Preis nominiert waren. Bekannt sind sie für ein unglaublich spielfreudiges, sich auch selbst nicht allzu ernst nehmendes Theater, das Gewitztheit genauso hat wie ein ordentliches Maß Klugheit – und nebenbei das Herz politisch am richtigen Fleck.

Nun nehmen sie sich also Nestroys Posse rund um Sein, Schein und lebensverändernde Haarfarben vor, in der der rothaarige Feuerfuchs dank schwarzer Perücke plötzlich zum Liebling aller Frauen wird. Natürlich wird es auch die obligatorischen Couplets geben. (Andrea Heinz, 17.9.2021)