Nichts kann diese Familie mehr kitten: Medea (Sandra Cervik) und Gatte Jason (Joseph Lorenz) sind am Ende.

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Medea hat schon einiges hinter sich, ehe es im letzten Teil des Mythos rund um das Goldene Vlies zum großen Showdown kommt. Silvia Merlo und Ulf Stengl haben die Bühne in der Josefstadt als Schauplatz dafür als großes schwarzes Loch belassen. Das erinnert zwar nicht ans antike Griechenland, trifft dafür aber genau Medeas psychische Verfassung. Im strengen schwarzen Kittel und mit Kopftuch vergräbt sie (Sandra Cervik) gerade ihre Vergangenheit im Boden. Mit ihrem Mann Jason und den Söhnen will sie in Korinth Zuflucht finden. Unruhig tigert dieser (Joseph Lorenz) darob an seiner Krawatte fummelnd umher. Ungelenke Küsse sollen das Paar zusammenschweißen, aber es wird einem selbst beim Zuschauen unbehaglich.

Am Volkstheater wurde die Geschichte jener Frau, die als Fremde mit ihrem Mann in dessen Heimat zieht, dort abgelehnt und schließlich weggeschickt wird, 2016 als Flüchtlingsdrama in die Gegenwart geholt. Simon Stone hat sie am Burgtheater 2018 als Sorgerechtsstreit im Pharmabusiness angesiedelt. Regisseur Elmar Goerden versucht keine so krasse Aktualisierung, er fokussiert auf Medea als Frau und Mutter.

Grillparzers Verse reichert er zu diesem Zweck mit einem feministischen Monolog an. Da dreht Cervik nicht zum einzigen Mal an diesem Abend auf: Es ist die Anklage einer Sich-Aufopfernden gegen den Mann, der sie im Stich lässt. Bin ich nicht Frau und Mutter genug, wenn ich so frei heraus spreche, fragt Cervik und wendet sich ans Publikum. Einmal legt Medea im Furor die Brüste frei.

König im Unterhemd

Lautstärke ist aber nicht Intensität. Man bleibt seltsam unberührt. Stattdessen bebildert der 100-minütige Abend den Plot mit Stilvielfalt. Im Unterhemd und mit Strohhut tritt König Kreon (Wolfgang Hübsch) auf. Seinem Töchterchen Kreusa (Katharina Klar) im zuckerlblauen Kleid sitzt der Schalk unter den blonden Korkenzieherlocken im Genick: Jason grüßt sie freudig, aber seine Frau soll schrecklich sein! Ach, das neben ihm ist sie? Oops.

Michael König trägt als Amme folkloristische Kleider, und so sehen alle Kostüme (Lydia Kirchleitner) aus, als stammten sie aus verschiedenen Inszenierungen. Das unterhält, bleibt ohne zündendes Regiekonzept aber nährstoffarme Buntheit – so wie die nur aus Eisbechern bestehenden Mahlzeiten bei Hof.

Halbgare Ideen knüpfen sich aneinander, wenn Kreusa in einem Akt verdrehter feministischer Solidarität die Ehe der beiden zu retten versucht, indem sie der herben Medea Pumps anzieht und die Schulter freilegt. Der jüngere Sohn des zerbrechenden Paares sitzt indes im Rollstuhl. Das ist in der Inszenierung aber kein inklusiver Akt: Nachdem Medea ihren Kindern das Genick gebrochen hat, hebt ein Nachspiel an, in dem er munter dem Gefährt entspringt. Im Familienglück hat die Behinderung keinen Platz.

Unmäßiger Premierenapplaus für einen effekthaschenden Abend. (Michael Wurmitzer, 10.9.2021)