Zusatztafeln, die an historisch belasteten Ortsbezeichnungen angebracht werden.

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Die Stadt Wien ließ im Jahr 2013 erheben, wie viele ihrer Straßennamen historisch problematisch sind. Mehr als 170 Bezeichnungen wurden als bedenklich eingestuft, die meisten davon, weil die Personen entweder im Nationalsozialismus aktiv gewesen waren oder diesen ideologisch mit vorbereitet hatten. Nun ist ein Ergänzungsband erschienen, der weitere 20 Personen kritisch einschätzt.

Erklärtes Ziel der Stadt Wien ist es, keine mit viel Konfliktpotential verbundenen Tilgungen vorzunehmen, sondern nach und nach aufklärende Zusatztafeln anzubringen. Die Frage, wie weit das zu bezeichnende Unrecht zurückreichen soll, ist eine offene, im Ergänzungsband hat man sich entschieden, den postkolonialen Zeichen der Zeit Rechnung zu tragen und auch den Kolonialismus in den Blick zu nehmen.

So wird nun zum Beispiel die Große und Kleine Mohrengasse kritisch befragt. Der Historiker Walter Sauer, neben Oliver Rathkolb und Peter Autengruber einer der Herausgeber, verweist dabei auf den rassistischen Bedeutungswandel, den der Begriff Mohr von der ersten Verwendung im Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert durchgemacht habe.

Streitfall Antiziganismus

Dass aber gleich mehrere Opfergeschichten in ein und derselben Person kulminieren und dabei in Konflikt geraten können, zeigt der Fall der Schriftstellerin Alma Johanna König, die als Jüdin 1942 im KZ ermordet wurde. 1977 wurde nach ihr ein Weg im 23. Bezirk benannt.

Im Ergänzungsband werden ihr nun aber antiziganistische und antijüdische Ressentiments in ihrer Novelle Schibes (1920) angekreidet, in der eine stehlende "Zigeunerin" und ein geldgieriger "Jud" vorkommen.

Gerhard Ruiss, Sprecher der IG Autorinnen Autoren, die den Nachlass Alma Königs verwaltet, zeigte sich in einer Aussendung "fassungslos" darüber, dass die Autorin nun auf der Liste landete: "Wir sind entsetzt, wie schnell und unreflektiert ein Opfer des Nationalsozialismus zur Beschuldigten gemacht werden kann. Wir sind entsetzt, wie schnell das geplante größte Menschheitsverbrechen der Geschichte mit Millionen Ermordeten eine Gleichstellung mit einer einem nicht sympathischen Personendarstellung in einer literarischen Erzählung erfährt", schreibt Ruiss und sieht eine "Zumutung" darin, wenn aus literarischen Figuren auf Haltungen ihrer Verfasser/innen geschlossen wird.

Literatur und Person

Die Mühe, in der Biografie Alma Königs nach Belegen für Ressentiments zu suchen, haben sich die Historiker tatsächlich nicht gemacht. Peter Autengruber verteidigt die Einschätzung dennoch: Sie wurde der am wenigsten problematischen Kategorie zugeordnet. Und man habe ihr nicht pauschal Antiziganismus unterstellt, sondern lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass "auch eine Autorin, die im Vernichtungslager ermordet wurde – zumindest in einer Novelle – nicht gefeit war vor Vorurteilen".

Es ist also ein Fall, der zeigt, wie schwierig es sein kann, historisch-politische Korrektheit und Opfergedenken in Einklang zu halten. Die einen hätten zur Kenntnis zu nehmen, dass es auch an Verehrungswürdigen problematische Seiten geben kann. Die Historiker wiederum täten gut daran, literarische Figuren sensibler im Lichte ihrer Zeit und von der Biografie möglichst getrennt zu sehen. Umsichtig handelt die Stadt: Denn wo Tilgungen jede Diskussion auslöschen, lassen Zusatztafeln Raum für komplexe Fälle. (Stefan Weiss, 10.9.2021)