Das BVT gilt als dysfunktional und intrigant – ab Jahresbeginn soll es zur "Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst" (DSN) werden

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Im Sommer 2018 steckte das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) in der größten Krise seit seiner Gründung: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat anhand von zweifelhaften Belastungszeugen und einem merkwürdigen Dossier an Vorwürfen weitreichende Ermittlungen gegen Verfassungsschützer gestartet; angefeuert durch das Umfeld des damaligen Innenministers Herbert Kickl (FPÖ). Am 28. Februar 2018 hatten WKStA und Polizeibeamte mit Schwerpunkt Straßenkriminalität, die von einem FPÖ-Politiker geleitet wurden, die Räumlichkeiten des Verfassungsschutzes durchsucht und dabei einen skandalösen Schwerpunkt auf das Extremismus-Referat gelegt. Deren Leiterin war lediglich Zeugin, aber nie Beschuldigte.

Die Ermittlungen samt Razzia hatten drastische Konsequenzen: Partnerdienste des BVT im Ausland schränkten ihre Kommunikation auf ein Minimum ein; Verfassungsschützer selbst waren verunsichert und unter Schock. Die Ermittlungen selbst wurden als überschießend kommentiert, die Hausdurchsuchung gerichtlich als rechtswidrig erklärt: Es ging um Spionage zum Nachteil Nordkoreas, um falsche Spesenabrechnungen und womöglich zu lang gespeicherte Datensätze.

Das BVT und der "Foltergeneral" in Wien

Im Hintergrund existierte ein weitaus aufsehenerregender Fall: Die Operation White Milk. Im Zentrum steht Khaled Al-Halabi, ein syrischer Brigadegeneral, den das BVT drei Jahre zuvor nach Wien geschmuggelt hatte. Das erfolgte auf Bitte des israelischen Geheimdienstes, weil Al-Halabi zuvor für Israel spioniert hatte. Die österreichische Asylbehörde wurde davon überzeugt, ihm rasch Asyl zu gewähren; mutmaßlich durch Vorspiegelung falscher Tatsachen durch das BVT. Es dauerte jedoch nicht lange, bis internationale Organisationen dem syrischen Brigadegeneral Kriegsverbrechen vorwerfen; auch die französischen Behörden ermitteln, weil Al-Halabi zuerst in Paris um Asyl angesucht hatte. Es ist ein potenzieller Skandal, der den BVT-Ermittlungen neuen Antrieb geben kann. Doch die WKStA weiß zu diesem Zeitpunkt nichts von der Causa – bis sie durch das BVT selbst informiert wird.

"Am 22. August 2018 fand – über ausdrückliches Ersuchen des BVT – in den Räumlichkeiten der WKStA eine Besprechung statt", heißt es in den Akten. Vonseiten des Verfassungsschutzes nehmen an dieser Besprechung Dominik Fasching und Karl L. teil. Die beiden Männer haben durch die Ermittlungen der WKStA Karrieresprünge hingelegt: L. war nun Leiter der Abteilung 2; Fasching stellvertretender Direktor. Direkt nach der Hausdurchsuchung und der Suspendierung des damaligen BVT-Direktors Peter Gridling hatte er das Amt sogar geleitet.

Sie belasten gegenüber der WKStA ihre Vorgänger und Mitarbeiter: "Es sei möglich, dass im Zuge der Sichtung der im BVT sichergestellten Daten festgestellt werde, dass Beamte des BVT" mit der Causa in Verbindung stünden. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelte aufgrund von Hinweisen durch NGOs bereits gegen den General selbst; nun hegt sie auch Verdachtsmomente gegen Verfassungsschützer. Die WKStA zieht daraufhin das Verfahren gegen die BVT-Beamten an sich.

Vom Belastungszeugen zum Beschuldigten

Großteils wird gegen dieselben Personen wie im "Hauptakt" des BVT-Verfahrens ermittelt: Etwa gegen den früheren Leiter des Referats "Nachrichtendienste und Proliferation"; dem einstigen Vizedirektor Z. wird ab 2019 noch Falschaussage vorgeworfen. Ins Visier gerät auch der frühere Abteilungsleiter Martin W., der einst noch als Belastungszeuge gegen Kolleginnen und Kollegen aufgetreten war. Er arbeitete mittlerweile bei Wirecard-Vorstand Jan Marsalek; dem er später zur Ausreise nach Belarus helfen sollte. Ihm wird in einem separaten Verfahren nun vorgeworfen, BVT-Informationen gekauft und an Marsalek weitergegeben zu haben. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung.

Die entscheidende Frage ist auch nach drei Jahren Ermittlungsdauer noch nicht geklärt: Wer wusste im BVT von "White Milk" Bescheid? Z. wird vorgeworfen, den Deal mit Israel eingefädelt und darüber falsch ausgesagt zu haben. Doch andere Beschuldigte und Zeugen sagen, nur über Martin W. von Z.s Involvierung erfahren zu haben. Hat der damalige Abteilungsleiter in Eigenregie gehandelt und Z.s Zustimmung vorgetäuscht? W. ist auf Anfrage nicht erreichbar, er lebt mittlerweile in Dubai. In einer Note an die WKStA sieht er sich durch die Ermittlungen entlastet, aussagen möchte er nicht mehr.

Ein Beschuldigter, der hauptsächlich mit "White Milk" befasst war, fühlt sich laut Aktenvermerken zum Sündenbock abgestempelt. Sein Anwalt Klaus Ainedter hat unter anderem gegen Fasching und Karl L. sowie BVT-Direktor Gridling Anzeige erstattet, weil diese angeblich entlastende Dokumente nicht an die Staatsanwaltschaft übermittelt hätten. "Zusammengefasst weist mein Mandant folglich sämtliche wider ihn erhobenen Vorwürfe von ehemaligen Vorgesetzten, die mittlerweile selbst Gegenstand von Ermittlungen wurden, auf das Schärfste zurück", sagt Ainedter zum STANDARD. Er rechnet " im Vertrauen auf eine objektive Justiz auf eine baldige Einstellung der Ermittlungen gegen meinen Mandanten, da es sich um eine vollkommen übliche nachrichtendienstliche Operation gehandelt hat, in der alle Beteiligten innerhalb der Weisungskette im Rahmen der Gesetze agiert haben."

Die politische Verantwortung

Durch internationale Medienberichterstattung etwa durch den "Spiegel" erhält der Fall neue Brisanz. Auch das renommierte US-amerikanische Magazin "New Yorker" wird am Montag ausführlich zu dem Fall publizieren. Auf Anfrage kann sich die WKStA nicht zu dem Fall äußern, da es sich um eine Verschlusssache handelt – nicht einmal die Anzahl der Beschuldigten wird bestätigt.

Das Innenministerium verweist auf die WKStA und will nicht sagen, wann Generaldirektion für Öffentliche Sicherheit, Minister und Ministerkabinett von der Operation informiert wurden. Zur Zeit der Operation leiteten mit Johanna Mikl-Leitner (bis 2016) und dann Wolfgang Sobotka (bis Dezember 2017) zwei ÖVP-Politiker das Innenministerium. Die politische Verantwortung bleibt also weiter ungeklärt: "Zu einer Zeit, als Hunderttausende verfolgte Syrer auf Schutz in Europa hofften und Österreichs heutiger Kanzler Sebastian Kurz ein ‘Ende der Einladungspolitik’ forderte, bekam ein Mann des Assad-Regimes dank der Hilfe von Geheimdiensten politisches Asyl", schreibt der "Spiegel".

Unabhängig davon war dem Vernehmen nach schon länger eine wichtige Dienstbesprechung zwischen Polizei und WKStA geplant: Am Montag soll besprochen werden, welche Ermittlungsschritte nun gesetzt werden. (Fabian Schmid, 11.9.2021)