Viktor Orbán (hier links) und den Papst trennen Welten, was die Interpretation des Christentums anbelangt.

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Ausgerechnet Ungarn war am Sonntag Ziel der 34. Auslandsreise von Papst Franziskus – der erst zweiten seit Beginn der Coronavirus-Pandemie. Die Pastoralbesuche in Ungarn und in der Slowakei sollten zu Tagen "des Gebets im Herzen Europas" werden, hatte er im Vorfeld erklärt. Als erste Station stand Budapest auf dem Programm. Auf dem zentralen Heldenplatz der ungarischen Hauptstadt zelebrierte Franziskus vor zehntausenden Gläubigen die Abschlussmesse des internationalen Eucharistischen Kongresses, eines Großereignisses der universalen katholischen Kirche.

Zuvor hatte er kurz den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán getroffen, einen Rechtspopulisten, Souveränisten und erklärten Gegner jeglichen Universalismus. Die Begegnung fand im Museum der Schönen Künste statt, das unmittelbar am Heldenplatz liegt. Orbán insistierte darauf, Franziskus war dem Vernehmen nach nicht sonderlich daran gelegen. Vor wenigen Tagen hatte er einem spanischen Sender anvertraut, dass er in Budapest "mehrere Behördenvertreter" treffen werde, nicht mit einer Gästeliste reise und deshalb auch nicht wisse, ob er Orbán treffen werde.

Ideologische Welten

Tatsächlich stehen das katholische Kirchenoberhaupt und Ungarns autokratischer Regierungschef in diametralem Gegensatz zueinander. Franziskus tritt für gesellschaftlich Ausgegrenzte und Flüchtlinge ein, zeigt Verständnis für Homosexuelle. Orbán schottet sein Land gegen Flüchtlinge und Schutzsuchende mit Metallzäunen, Stacheldraht und illegalen Rückschiebungen ab. Sich selbst bezeichnet er als "Verteidiger des Christentums", als "letzten Burgkapitän" und Retter Europas vor der "Flut" der muslimischen Einwanderer.

Orbán, der selbst nicht Katholik ist, vor langer Zeit ein Kirchengegner war und sich heute zum Calvinismus bekennt, steht für ein ultra-konservatives, völkisch eingefärbtes Verständnis von Christentum. Der Papst hingegen will den verzopften Traditionalismus in seiner Kirche überwinden und die Weichen für zeitgemäße Reformen stellen. Für Orbán und seine Ideologen gibt er deshalb eigentlich eher ein Feindbild ab. Die Orbán-Medien greifen ihn immer wieder an, unterstellen ihm, das "wahre" Christentum zu verraten, und bezeichnen ihn schon auch einmal als "dementen Greis". Auf subtilere Weise schlug Orbán am Sonntag nach seiner Begegnung mit dem Pontifex in dieselbe Kerbe. "Ich ersuchte Papst Franziskus, dass er das christliche Ungarn nicht untergehen lassen möge", ließ er auf seiner Facebook-Seite unter das Foto schreiben, das ihn mit Franziskus zeigte.

Wenig Euphorie

In diesem Klima wollte keine rechte Begeisterung für den Papstbesuch aufkommen. Gerade einmal 75.000 Menschen ließen sich für das Ereignis registrieren. "Ist das alles, was der ungarische Katholizismus vorzuweisen hat? Ist uns unser Glaube so viel wert, Brüder? Nun, so viel ist er uns wert, bitte schön", schrieb ein frustrierter Kommentator im Portal vasarnap.hu, das die mit Orbán verbündete katholische Kleinstpartei KDNP betreibt. Der Beitrag wurde allerdings bald wieder von der Website gelöscht.

Den Papst hielt es jedenfalls nicht lange in Budapest. Nach sieben Stunden auf ungarischem Boden reiste er donauaufwärts in die slowakische Hauptstadt Bratislava weiter. Dort scheint er sich wohler zu fühlen, dort hält er sich ganze drei Tage auf.

Dabei schlugen ihm in Budapest durchaus auch wohlmeinende Willkommenstöne entgegen. Die Stadtverwaltung, die seit Ende 2019 in oppositioneller Hand ist, ließ in den Straßen Plakate mit Franziskus-Zitaten aufstellen. Sätze wie "Missbrauch (der Macht) ist eine schwerwiegende Verletzung der Menschenwürde" oder "Wenn einer gay ist und den Herrn sucht und guten Willen hat – wer bin dann ich, ihn zu verurteilen?" lassen sich in Ungarn auch als Kritik an der autoritären und homophoben Politik Orbáns lesen. (Gregor Mayer aus Budapest, 13.9.2021)