Bild nicht mehr verfügbar.

Israels Premier Naftali Bennett gilt als Antithese zu seinem Vorgänger. Seine Koalition, "Block des Wandels", eint die Einstellung zu Netanjahu.

Foto: Reuters / Abir Sultan

Als sie geboren wurde, erklärten viele Beobachter sie für bald schon wieder tot. Die Koalition aus acht höchst unterschiedlichen Parteien, die nun seit hundert Tagen regiert, gilt als die schrägste Formation, die je in Israel an der Macht war. "Hätte uns jemand vor einem Jahr gesagt, dass wir jemals eine solche Regierung bekommen würden, hätten wir ihn für verrückt erklärt", sagt der Politikwissenschafter Gideon Rahat vom israelischen Demokratieinstitut.

Islamisten sitzen mit radikalen jüdischen Siedlern, Religiöse mit Säkularisten, Linke mit Neoliberalen an einem Tisch – und sollte nur ein Einziger aufstehen, zerfällt die Koalition. Mit nur einer Stimme Mehrheit im Parlament hängt die Regierung an einem seidenen Faden.

Das Corona-Problem

Trotzdem hat das Kabinett unter Premierminister Naftali Bennett bisher alle Zerreißproben überstanden. Manche davon kamen unerwartet. Die vierte Corona-Welle überraschte die junge Regierung. Sie war mit dem Vorsatz angetreten, jene Scherben, die drei Lockdowns in der Wirtschaft, im Sozialgefüge und im Bildungsbereich hinterlassen hatten, aufzukehren und das Leben in geregelte Bahnen zu bringen. Dann kam die Delta-Variante. Israels Status als Impfweltmeister schien zum Nachteil zu werden, da bei vielen Menschen die zweite Impfung schon so lange zurücklag, dass sie nicht mehr ausreichend Schutz bot.

Die Infektionszahlen schnellten hoch, übertrafen sogar die Rekordwerte der dritten Welle. Bennett und Gesundheitsminister Nitzan Horowitz setzten aber weiter konsequent auf die Impfung und sorgten für rasche Auffrischungen. Die Strategie scheint sich zu bewähren: Das Ausbreitungstempo nimmt ab, die Spitäler sehen weniger ältere Patienten mit schwerem Verlauf. Naftali Bennett hat hier durchaus an Ruf zu verlieren: Er hatte im Jahr 2020 ein Buch veröffentlicht, in dem er erklärte, wie man eine Corona-Krise meistert. Damals war Benjamin Netanjahu Premierminister, Bennett war Vorsitzender einer Kleinpartei, und niemand hätte gedacht, dass er bald selbst Regierungschef werden würde – am wenigsten wohl er selbst.

Dass es dazu kam, hat Bennett indirekt seinem früheren Verbündeten Netanjahu zu verdanken. Dessen Angewohnheit, potenzielle Rivalen aus dem Weg zu räumen, führte vor zwei Jahren auch zum Rausschmiss Bennetts aus der damaligen Regierung. Seither hat der ehrgeizige 49-Jährige einiges an Groll auf den früheren Mentor aufgestaut, und dieses Anti-Netanjahu-Sentiment teilt er mit seinen heutigen Regierungspartnern. "Alles nur nicht Bibi" (Spitzname Netanjahus): Dieser Leitsatz dient nun als Kitt der Koalition, die sich "Block des Wandels" nennt.

"Land auf Autopilot"

Verdient sie diesen Namen? "Revolution ist es keine, aber vieles hat sich verändert", bilanziert der Tel Aviver Politologe Alon Yakter im STANDARD-Gespräch. Der größte Unterschied bestehe darin, dass es nun zum ersten Mal wieder eine Regierung gebe, die Entscheidungen treffe. Netanjahu führte das Land von Neuwahl zu Neuwahl. Zwar ist dem Ex-Premier mit den Friedensdeals mit mehreren arabischen Ländern ein diplomatischer Meilenstein gelungen, innenpolitisch lag aber vieles brach. Es gab kein Budget, somit für wichtige Maßnahmen kein Geld, und an einigen Schlüsselstellen in Justiz und Polizei wurden wichtige Nachbesetzungen verschleppt. "Das Land war auf Autopilot", resümiert Yakter.

Die neue Regierung hat es immerhin geschafft, ein Budget vorzulegen, das in erster Lesung im Parlament angenommen wurde, zweite und dritte Lesung stehen aus.

Außenpolitisch wird dieses Kabinett wohl ein unbeschriebenes Blatt bleiben. "Das ist eine Regierung, die sich auf innenpolitische Aufgaben konzentriert – und ich sage das mit Bedauern", betonte Außenminister Jair Lapid unlängst vor Journalisten. Zu unterschiedlich sind die Positionen. So bekennt sich Lapid, der 2023 Premierminister werden soll, zur Zwei-Staaten-Lösung, während Bennett sie offen ablehnt. Zwar gab es jüngst zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder einen offiziellen Besuch eines israelischen Verteidigungsministers bei Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Alle Seiten betonten aber, dass es dabei nicht um Diplomatisches ging.

Wieder Raketenalarm

Siedlerverbände machen weiter Druck, zum Teil mit Erfolg. Die geplante Räumung der illegalen Siedlung Eviatar im Westjordanland wurde abgeblasen, die Siedler zogen freiwillig ab, das Areal wurde zur Militärzone erklärt – und damit den dort lebenden palästinensischen Bauern auf unbestimmte Zeit entzogen. Der schwelende Konflikt mit den in Gaza regierenden Terrorgruppen flammt derzeit wieder auf, im Süden Israels gibt es wieder Raketenalarm. Dass dieser Konflikt die fragile Regierung spalten könnte, glaubt Politologe Yakter nicht. Der Feind im Inneren hält sie zusammen: "Solange die Alternative Netanjahu heißt, wird diese Regierung überleben." (Maria Sterkl aus Jerusalem, 13.9.2021)