Manchmal kommt Thomas Schuh nur kurz vor oder nach der Arbeit, um zu gießen. Das Gärtnern naturnah zu halten, sagt er, sei weniger zeitintensiv.

Foto: Regine Hendrich

Die ÖBB verpachten rund 6,5 Millionen Quadratmeter Fläche.

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Nur wenige Minuten zu Fuß vom Bahnhof entfernt befindet sich der Kleingarten-Zweigverein Perchtoldsdorf. Die Österreichischen Bundesbahnen verpachten die Grünfläche rund um die Schienen an den Verein der ÖBB Landwirtschaft, der die Gärten verwaltet. Thomas Schuh, der eine Parzelle in der Siedlung hat, ist mit dem Fahrrad da. Eine Viertelstunde brauche er, wenn er gemütlich von seiner Wohnung herradelt.

Schuh hat schon als Kind seine Sommer in der Kleingartensiedlung verbracht. Sein Großvater hatte bereits in den 1970er-Jahren als Busfahrer der Bundesbahnen das Grundstück neben dem Bahnhof gepachtet und dort ein Haus errichtet. Nachdem der Schrebergarten von den Großeltern lange Zeit als Sommerunterkunft genutzt worden war, zog Schuh während des Biologiestudiums für einige Jahre ein. Später wohnte er gemeinsam mit seiner Frau dort – bis das erste Kind auf dem Weg war.

Die einzelnen Parzellen sind oft hinter gepflegten Hecken versteckt.
Foto: Regine Hendrich

Die Nachfrage nach Kleingärten ist vor allem seit Corona stark gestiegen. Aktuell nutzt Schuh die Parzelle "am Wochenende zum Garteln, aber auch unter der Woche als Homeoffice". Am liebsten würde er noch mehr Zeit im Garten verbringen. Im Sommer sei er zwar mehrmals die Woche hier, manchmal komme er aber nur kurz vor oder nach der Arbeit vorbei, um zu gießen.

Garten bis auf Widerruf

Rund 6,5 Millionen Quadratmeter werden von der ÖBB Landwirtschaft in ganz Österreich verwaltet. Jede Parzelle hat eine Fläche zwischen 100 und 400 Quadratmetern. Unterschieden wird zwischen Prekariatsflächen, die von den ÖBB jederzeit widerrufen werden können, wenn beispielsweise die Infrastruktur mit einem zweiten Bahngleis ausgebaut wird. Und Pachtanlagen, die zwischen 50 und 80 Jahren verpachtet und auch an Verwandte weitergegeben werden können.

An einen Kleingarten kommen nicht nur die Mitarbeitenden der ÖBB – das war aber nicht immer so. Historisch gehen sie zurück auf die Erste Republik, als Beschäftigte der Bundesbahnen die Flächen neben den Schienen landwirtschaftlich zum Anbau von Gemüse und für die Haltung von kleinen Nutztieren verwenden konnten. Während damals also der Versorgungsgedanke nach dem Vorbild alter Bauerngärten im Vordergrund stand, sollen die Kleingärten heute vor allem Stadtbewohnern zur Erholung dienen.

Auch Schuh sieht seinen Garten als Ruheoase – nur ab und zu hört man Züge von den nahegelegenen Schienen im Hintergrund. Der Biologe möchte aber nicht nur, dass er und seine Familie sich im Garten wohlfühlen, sondern auch Vögel, Schmetterlinge und Insekten aller Art. Sogar Fledermäuse seien bei ihm willkommen, gesehen habe er in der eigens dafür gedachten Holzvorrichtung am Baum aber noch keine.

Regeln gebe es zwar auch hier – wie in jedem anderen Kleingartenverein –, zum Beispiel für die Wuchshöhe von Bäumen und Sträuchern. Ganz so streng wie in den 1970er-Jahren sei es aber nicht mehr. Das Mindset der Menschen habe sich seiner Meinung nach verändert, sagt Schuh, und der Nachhaltigkeitsgedanke sei präsenter: "Es geht weg von der grünen Fassade, die für die Natur eigentlich keinen Mehrwert hat, und hin zum natürlichen Rückzugsort."

Hohe Nachfrage

Etwa 11.000 Mitglieder zählen die 130 Zweigvereine der ÖBB österreichweit. Durch die pandemiebedingten Lockdowns sei ein regelrechter Boom ausgelöst worden: "Jeder wollte wohl ein bisschen Grün, um den eigenen vier Wänden zu entkommen", sagt der Präsident der ÖBB Landwirtschaft, Erich Rohrhofer. Wer sich heute online für einen Kleingarten anmeldet, wartet im Durchschnitt zwei bis drei Jahre, sagt er. Die Kosten für die Pacht seien ähnlich wie bei anderen Kleingärten; Mitarbeitende der Bundesbahnen erhalten jedoch eine Ermäßigung. Schuh sagt, er zahle "ein paar Hundert Euro" im Jahr. Außerdem werden die Gärten bevorzugt an Beschäftigte der ÖBB vergeben sowie Pensionistinnen und Pensionisten, und dann erst an weitere Interessenten.

Seit 2007 arbeitet der Biologe als Nachhaltigkeitsmanager bei den ÖBB. Auch zwei Arbeitskollegen haben einen angrenzenden Kleingarten in der Siedlung. Ein paar Nachbarn würden ihre Pension hier verbringen. In den letzten Jahren habe sich seiner Beobachtung nach jedoch ein Generationenwechsel vollzogen, und die Jungen würden die klassischen Schrebergarten-Kolonien im Einklang mit der Natur umgestalten.

Auch die ÖBB Landwirtschaft habe sich an diese Entwicklung angepasst. Das zeige sich beispielsweise an der gemeinsamen Initiative "Nationalpark Garten" des Vereins und von Global 2000, bei der Schuhs Garten als Vorbild für Naturbelassenheit ausgezeichnet wurde.

Das naturnahe Gärtnern habe außerdem den Vorteil, dass es weniger zeitintensiv sei: "Ich möchte nicht jeder Ameise mit einem Giftspray hinterherjagen oder meine Thujenhecke alle zwei Wochen schneiden." Genug zu tun gebe es in seinem Kleingarten dennoch. (Anika Dang, 13.9.2021)