Vor einer Woche ist es Bundeskanzler Sebastian Kurz gelungen, der Corona-Diskussion einen neuen Spin zu verpassen: Was künftig an Einschränkungen komme, diene eben dem Schutz der Ungeimpften. Das war hübsch unschuldig formuliert – hat aber die (wohl von Kurz intendierte) Schuldzuweisung bewirkt.

Ist nicht selbst schuld, wer nicht geimpft ist? Muss diejenige oder derjenige nicht die Folgen ihres oder seines selbstbestimmten ungeschützten Status tragen? Und umgekehrt: Muss die Mehrheit, die sich freiwillig hat impfen lassen, wirklich zurückstecken, um der Minderheit der freiwillig Ungeimpften im Falle einer Erkrankung eine intensivmedizinische Behandlung sicherzustellen?

Das sind heikle Punkte in der politischen Diskussion – und wo diese hingeht, hat sich in den vergangenen Wochen bereits tendenziell abgezeichnet: Das Argument, dass die geimpfte Mehrheit nicht weiterhin die Corona-Tests der Ungeimpften zahlen soll, hat offenbar gewirkt, das Ende der für die Getesteten kostenlosen Tests gilt als ziemlich fix. Das könnte den Druck, sich impfen zu lassen, erhöhen – und schon ist eine weitere Stellschraube angesprochen worden: Wenn die aus eigenem Verschulden erkrankten Covid-Patienten im Spital landen und dort womöglich anderen Patienten den Platz wegnehmen – sollte man sie da nicht mit einem Selbstbehalt zur Kasse bitten?

Sollte man Impfverweigerer, die aus eigenem Verschulden an Covid erkranken, mit einem Selbstbehalt zur Kasse bitten?
Foto: imago images/Gottfried Czepluch

Ethisch unverantwortlich

Das klingt im ersten Moment einleuchtend – und auch wenn weder die Regierung noch die Gesundheitskasse diese Diskussion führen will, wird das Thema nicht leicht vom Tisch zu wischen sein. Christiane Druml, als Chefin der Bioethikkommission quasi höchste Autorität in der Sache, weiß das. Sie schlägt argumentativ gleich einmal Pflöcke ein, warum ein solcher Selbstbehalt keinen Sinn ergibt: Zunächst wäre es ethisch unverantwortlich und dem Solidaritätsgedanken zuwiderlaufend, Kranken die Behandlung zu verweigern oder diese an eine besondere Gebühr zu knüpfen. Und praktisch brächte es wenig, Impfverweigerern mit Kosten zu drohen, die im Falle einer Erkrankung anfallen würden. Denn die meisten dieser Personen sehen sich ja ohnehin nicht durch eine Erkrankung durch das Coronavirus gefährdet.

Diese Argumentation wird vielen Geimpften nicht schmecken. Haben sie nicht Solidarität geübt und teilweise heftige Nebenwirkungen auf sich genommen, als sie sich impfen ließen? Ja, haben sie.

Das sollte den Geimpften das Recht zurückgeben, selbst weniger bis gar keinen Einschränkungen unterworfen zu werden – sie stellen für sich selbst und andere kaum eine Gefahr dar und dürften, soweit man weiß, auch in Zukunft das Gesundheitssystem nicht über Gebühr belasten. Sie müssen aber hinnehmen, dass andere Sozialversicherte dieses System ausnutzen – und auf Kosten der Allgemeinheit ihre Wehwehchen auskurieren. Alle Sozialversicherten und letztlich die Steuerzahler tragen in ihrer Gesamtheit das Risiko mit, dass vermeidbare Erkrankungen wie die eine oder andere Sportverletzung, die eine oder andere Säuferleber oder das eine oder andere Raucherbein auf Kosten der Allgemeinheit behandelt werden.

Dasselbe gilt natürlich auch für Covid-Erkrankungen. Umso wichtiger ist es, die Solidarität der Geimpften nicht zu sehr zu beanspruchen. Sie brauchen rasch alle Freiheiten wieder. (Conrad Seidl, 12.9.2021)