Wien – Die Wirtschaft ist nach den Turbulenzen der Krise in Aufbruchsstimmung und sucht quer durch alle Branchen Personal. Doch dieses lässt vielerorts auf sich warten. Ende August waren beim AMS 113.849 offene Stellen gemeldet. Das sind um 72 Prozent mehr als im Vorjahresmonat – ein neuer Rekordwert. Vor allem Tourismus und Gastronomie klagen über einen Mangel an Mitarbeitern.

Der Pool an günstigen Saisonkräften aus dem Ausland hat sich erschöpft. In Österreichs Gastronomie und Beherbergung sind 15.300 Stellen unbesetzt.
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Aber auch im Handel sind 18.200 Jobs unbesetzt. In der Zeitarbeit sind 27.500 Stellen ausgeschrieben. Für einen Gutteil von ihnen finden sich rasch Bewerber. Von Jänner bis August wurden dem AMS zufolge 46 Prozent der gemeldeten Stellen innerhalb von 30 Tagen besetzt. Bei nur vier Prozent währte die Personalsuche letztlich länger als 180 Tage.

Die wachsende Zahl an offenen Jobs treibt dennoch Debatten über den Arbeitsmarkt an. Wird es den Österreichern zu leicht gemacht, lange arbeitslos zu bleiben? Würden eine stufenweise Absenkung des Arbeitslosengeldes und ein Verbot von Zuverdienst den Mangel an Fachkräften lindern?

Was für degressives Arbeitslosengeld und weniger Zuverdienst spricht

Der Schock über den Jobverlust ist gemildert, geht doch aufgrund der degressiven Arbeitslosenhilfe in den ersten drei, vier Monaten der Arbeitslosigkeit nicht sofort fast die Hälfte des Einkommens verloren. Mehr Geld zu Beginn hält die Kaufkraft stabil, was auch der Wirtschaft hilft – wobei der Großteil der Betroffenen ohnehin nicht in Gefahr gerät, finanziell harte Abstriche machen zu müssen: Vor der Krise wurden 71 Prozent der Arbeitslosen innerhalb von nur drei Monaten vermittelt, rechnet das AMS vor.

Dennoch braucht es Anreize und Druck, um Arbeitslosigkeit zu verkürzen: Denn Gastronomie und Tourismus, aber auch Handel, Bau und Industrie gehen die Arbeitskräfte aus.

Fehlender Animo

Unternehmer beklagen fehlenden Animo, zu arbeiten, zumal die Kurzarbeit die Österreicher lehrte, auch mit weniger Geld, dafür mehr Zeit ein gutes Leben führen zu können.

Bereits jetzt ist jeder dritte Arbeitslose länger als ein Jahr ohne Job. Dieser Anteil hat sich seit 2008 verdoppelt. Im OECD-Vergleich zahlt Österreich jenen, die nach zwei Jahren noch arbeitslos sind, weitaus mehr als andere Länder.

Sind es hierzulande dank Notstandshilfe 51 Prozent des Letztgehalts, kommen Arbeitslose in Deutschland nur auf 22 Prozent. In Ländern wie Dänemark, der Schweiz, Norwegen, oder den USA versiegt dieses Geld zur Gänze.

Doch wie bei einem Gummiband, das sich dehnt, bis es zwangsläufig reißt, sinkt mit jedem Monat ohne Arbeit mehr die Chance auf die Rückkehr ins Erwerbsleben – und zugleich das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Um monetäre Schlechterstellung zu vermeiden, werden viele vorab den Absprung versuchen.

Gelegenheitsjobs als Eigentor

Auch die Möglichkeit, sich zum Arbeitslosengeld monatlich 475 Euro dazuzuverdienen, birgt Tücken. Jüngere Arbeitnehmer sind tendenziell kürzer ohne Beschäftigung. Gelegenheitsjobs hemmen sie dabei, sich Arbeit zu suchen, von der sie auch leben können.

Geringfügige Einkommen sind von Steuer und Sozialversicherung befreit, werden also netto für brutto ausbezahlt. Das vermittelt ein falsches Bild über erzielbares Einkommen. Und es macht wenig Lust, sich besser bezahlte Arbeit zu suchen. Denn wer wettmachen muss, was durch zu viel Zuverdienst abhandenkommt, muss erheblich mehr arbeiten.

Lorbeeren verdient man sich bei vielen dieser Tätigkeiten zumeist keine. Betriebe decken damit gerne ihre Auftragsspitzen ab: So rasch Minijobs sich auftun, so schnell sind sie auch wieder weg. Und sie binden Zeit, die man hätte nutzen können, um sich um existenzsichernde Stellen zu bemühen.

Mit Blick auf das Alter sind sie in jedem Fall ein Eigentor. Wer in keine Sozialtöpfe einzahlt, büßt dies mit niedriger Pension.

Was gegen stufenweise weniger Geld und das Verbot von Gelegenheitsjobs spricht

Je geringer der Einkommensverlust in den ersten Monaten ohne Job, desto größer ist die Versuchung für Arbeitgeber, Mitarbeiter in Zeiten schwacher Aufträge in der Arbeitslosigkeit zwischenzuparken.

Für Arbeitnehmer wächst der Druck, Jobs anzunehmen, die unter ihren Qualifikationen und bisherigen Gehältern liegen. Das zementiert Billiglohnsektoren ein und entlässt Unternehmer aus der Pflicht, ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Viele Branchen bedienten sich lange günstiger Saisonkräfte aus dem Ausland. Andere machten aus prekären Jobs mit geringer sozialer Absicherung Geschäftsmodelle. Das Risiko ist hoch, dass der Weg zurück in das reguläre Erwerbsleben noch mehr als bisher über schlechtbezahlte Arbeit führt.

Klappt es mit dem Job nicht, ist auch der Anspruch auf das zuvor höhere Arbeitslosengeld verloren. Flexibilität wird bestraft.

Druck von oben nach unten blendet zudem die fehlende Chancengleichheit aus: 42 Prozent der Langzeitarbeitslosen sind über 50. Ein Drittel ist gesundheitlich beeinträchtigt.

Altersgerecht, familienfreundlich

Solange Arbeitgeber keine Jobs bieten, die altersgerecht sind, die sich mit Familienleben vereinbaren lassen, solange nicht auch Geringqualifizierte mehr Möglichkeiten der Weiterbildung haben, ist es grob fahrlässig, einseitig an finanziellen Schrauben zu drehen.

Stufenweise weniger Unterstützung trifft vor allem ältere Menschen, jene mit Krankheit und Behinderung. Für den Staat wäre der Spareffekt gering, rechnet eine Wifo-Studie vor. 13 Prozent der Arbeitslosen beziehen Mindestsicherung. Ihr Anteil würde steigen und die Degression durch die Sozialhilfe aufheben.

Zudem ist der Zuverdienst für eine erhebliche Gruppe an Menschen, die an der Schnittstelle zwischen arbeitsfähig und arbeitsunfähig stehen, das letzte Bindeglied zum Arbeitsmarkt und normalen Leben.

Für Jüngere, die sich in kleineren Jobs bewähren, kann dies ein Sprungbrett zu fixen Dienstverhältnissen sein. Noch mehr, da Lücken im Lebenslauf nicht akzeptiert werden.

Keine soziale Hängematte

Sich mit gelegentlicher Arbeit in der sozialen Hängematte auszuruhen, spielt es jedenfalls nicht. Das AMS sieht harte Sanktionen vor, werden Bewerbungen verweigert. Auch soziale Stigmatisierung droht.

Ungelöst bleibt das Problem der Schwarzarbeit. Das Risiko ist hoch, dass sich Pfusch bei weniger legalen Zuverdienstchancen verstärkt. Ausgespart blieb in der Debatte um strengere Regeln für Arbeitslose höhere Qualität in der Jobvermittlung. Der fünfte Kurs für richtiges Bewerben hilft nur bedingt. (Verena Kainrath, 13.9.2021)