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Deutschland hatte 16 Jahre lang eine Frau an der Spitze. Ein noch immer ungewöhnlicher Umstand, den wir natürlich nicht nur dem politischen Talent von Angela Merkel verdanken. Ihren Aufstieg hat auch die Frauenbewegung ermöglicht, die sich insbesondere seit Ende des 19. Jahrhunderts abrackerte, um Frauen den Zugang zur öffentlichen Sphäre zu ermöglichen und unter anderem das passive und aktive Wahlrecht für Frauen erkämpfte.

So ist es nicht nur logisch, sondern durchaus auch interessant, eine Frau, die 2005 zur Bundeskanzlerin gewählt werden konnte, nach ihrem Verhältnis zur Frauenbewegung, zum Feminismus zu befragen. Wie hält es Angela Merkel mit dem Feminismus? Während ihrer Amtszeit und jetzt in den letzten Tagen auf dem Posten?

Merkels Position gegenüber dem Feminismus war in den vergangenen Jahren von Respekt und glaubwürdiger Dankbarkeit geprägt. Auch wenn Parteien wie die CDU/CSU in Deutschland und die ÖVP in Österreich gesetzliche Eingriffe in die Geschlechterpolitik meiden wie der Teufel das Weihwasser: Merkel schien immer klar zu sein, dass mit der konservativen Haltung "Jede ist ihrer Gleichberechtigung Schmiedin" allein kaum etwas weitergegangen wäre.

Wenn Trump schon Feministin ist

Doch ihr war auch klar, dass sie selbst genau in dieser politischen Tradition steht – und so hielt auch sie Distanz zum Feminismus. So sagte sie bei einer Podiumsdiskussion 2017 zur seit einigen Jahren sehr beliebten "Sind sie Feministin?"-Frage an mächtige und berühmte Frauen noch nicht Ja. Aber auch nicht so richtig Nein. Sie eierte herum und antwortete schließlich sehr diplomatisch: Sie wolle sich nicht mit "fremden Federn" schmücken. Mit dabei auf dem Podium waren übrigens auch die damalige US-Präsidentenberaterin und -tochter Ivanka Trump, Königin Maxima und Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Zentralbank – und sie alle nannten sich interessanterweise sehr begeistert Feministin.

Doch trotz des aufkommenden Gruppendrucks durch diese Frauen, für die Feminismus etwas zu sein scheint, was sich als Anstecker auf dem Businesskostüm gut macht, ein bisschen Radical Chic halt, blieb Merkel damals dabei: Frau muss schon etwas vorweisen, um sich so zu nennen.

Nun, das war eine ehrliche und gute Selbsteinschätzung von Merkel. Ihre Kanzlerschaft hat sich nicht in einer intensivierten frauenpolitischen Arbeit der Regierung niederschlagen. Betrachtet man die Realpolitik für Frauen der vergangenen 16 Jahre, so zeigt sich, dass Merkel mit ihrem Zögern recht hatte. Deutschland liegt heute – gemeinsam mit Österreich – mit rund 19 Prozent Lohschere bei den Bruttostundenverdiensten weit hinter dem europäischen Durchschnitt von 14 Prozent. Jeden dritten Tag wird in Deutschland ein Femizid verübt. Auch die Symbolkraft einer Frau als Bundeskanzlerin sickerte nicht durch: Beim Anteil der weiblichen Führungskräfte liegt Deutschland unter dem EU-Durchschnitt. Und Frauen verdienen in Deutschland zehn Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes sage und schreibe 61 Prozent weniger als im Jahr vor der Geburt. In Österreich sind es "nur" 51 Prozent. Richtig, Frau Merkel, eine Feministin hätte in dieser langen Zeit wohl deutlich mehr Druck dafür gemacht, dass es sich in Deutschland für Frauen im Jahr 2021 besser lebt.

Also doch!

Jetzt ruderte Angela Merkel doch noch in Richtung Feminismus. Anfang September sagte sie bei einem Podiumsgespräch mit der Autorin Chimamanda Ngozi Adichie: "Ja, ich bin Feministin." Warum jetzt also doch? Weil es jetzt völlig wurscht ist. Jetzt, am Ende ihrer Amtszeit, kann man ihre Politik nicht mehr auf diese Aussage hin abklopfen. Und eines ist auch klar: Sich als Feministin zu bezeichnen, das ist inzwischen auch eine Frage des guten Images. Wer wird schon gegen die Gleichstellung der Geschlechter, gegen Maßnahmen gegen Diskriminierung, gegen den Kampf gegen Sexismus sein? Niemand! Eben. Der feine, aber letztlich der zentrale Unterschied ist aber, ob und welcher Handlungsbedarf gesehen wird. Ob eine Politikerin oder ein Politiker bereit ist, sich mit Gleichstellungspolitik so richtig unbeliebt zu machen. Denn die hat im Gegensatz zum "Feministinsein" noch immer kein sexy Image. Die allermeisten wollen sich nach wir vor nicht mit der Wirtschaft anlegen, etwa durch strenge Gesetze zur Lohntransparenz. Oder mit Vätern, etwa durch eine stärkere finanzielle Regulierung der Aufteilung der Karenzzeiten. Oder mit der eigenen Partei, etwa wegen einer ungeliebten, aber wirksamen Quotenregelung.

Ob feministische Politik gemacht wird, daran muss sich eine Politikerin messen lassen, die sich Feministin nennt. Angela Merkel geht zum jetzigen Zeitpunkt kein Risiko mehr ein, wenn sie sich als Feministin bezeichnet. Es schadet ja nicht, es nützt aber auch nichts mehr. (Beate Hausbichler, 22.9.2021)