Vor den Banken Afghanistans versuchen die Menschen noch, an Bargeld zu gelangen. 93 Prozent der Bevölkerung haben laut Welternährungsprogramm zu wenig zu essen.

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Bei einer Geberkonferenz für Not leidende Menschen in Afghanistan haben die Geberländer mehr 1,2 Milliarden Dollar (1,01 Milliarden Euro) zugesagt – und gleichzeitig Forderungen in punkto Menschenrechte an die herrschenden Taliban gestellt. Die Summe umfasst Soforthilfe für die Not leidende Bevölkerung sowie Entwicklungshilfe und Unterstützung für Nachbarländer, die Flüchtlinge aufnehmen, wie UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Montag sagte.

UN-Generalsekretär António Guterres gab die Summe zum Ende des Treffens am Montag bekannt. Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) sagte für Österreich einen Betrag von insgesamt 20 Millionen Euro bei der teilweise virtuell abgehaltenen Konferenz zu.

Guterres bezeichnete die Zusagen als "Quantensprung". Die Vereinten Nationen hatten zuvor an Geberländer appelliert, mehr als 600 Millionen Dollar für den Rest des Jahres zuzusagen, um Menschen in Afghanistan vor Hunger zu bewahren und den Zusammenbruch öffentlicher Dienstleistungen zu verhindern. Seit der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban sind Nahrungsmittel immer knapper geworden.

Bei der Konferenz ging es auch um das Dilemma, wie effektive Hilfszahlungen oder -lieferungen nach Afghanistan aussehen könnten, ohne die Menschenrechtsverletzungen der regierenden Taliban unter den Tisch fallen zu lassen.

Frauenrechte und Vermittlerrolle

Vor allem die fehlenden Rechte für Frauen bereiten der internationalen Staatengemeinschaft Sorge: UN-Menschenrechtschefin Michelle Bachelet sagte am Montag, dass sich Afghanistan in einer "neuen und gefährliche Phase" befinde. In den vergangenen drei Wochen habe sie beobachtet, wie die Islamisten Frauen systematisch aus der Öffentlichkeit gedrängt hätten.

Omans Außenminister Sayyid Badr al-Busaidi will mit den Taliban sprechen. Das sagte er bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem österreichischen Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in Maskat. Bereits am Sonntag war eine katarische Delegation in Kabul gewesen, um erste Gespräche mit den radikalen Islamisten zu beginnen. Schallenberg freue es, dass der Oman "mit allen redet". Es sei "gut, dass wir wieder hier sind", fügte der Außenminister hinzu – und meinte damit die offizielle Wiedereröffnung der österreichischen Botschaft in Maskat. Die frühere Vertretung war aus Kostengründen geschlossen worden.

Kein Bargeld

Bereits vor der Machtübernahme der radikalen Islamisten benötigten 18 Millionen Menschen im Land – die Hälfte der Bevölkerung – Hilfslieferungen, um überleben zu können. Dadurch, dass die Milliardenbestände der Nationalbank auf internationalen Konten eingefroren wurden, damit die Taliban keinen Zugriff darauf erhalten, hat sich die Lage weiter verschärft. Den Menschen fehlt es an Bargeld und Nahrungsmitteln. Eine heftige Dürre lässt die Pflanzen auf den Feldern vertrocknen. Es braucht Hilfe aus dem Ausland.

Gleich zu Beginn der Gespräche in Genf warnte UN-Generalsekretär Antonio Guterres, dass vielen Afghaninnen und Afghanen die Nahrungsmittel bis Ende September ausgehen könnten. Doch die Vereinten Nationen haben selbst kein Geld. Guterres sagte am Freitag zu Medienvertretern, dass die Organisation nicht einmal die Gehälter ihrer eigenen Angestellten zahlen könnte.

Hungernde Bevölkerung

Einen großen Teil der 600 Millionen Dollar, die in Genf gespendet werden sollen, wird das Welternährungsprogramm (WFP) erhalten. Denn laut einer Untersuchung haben 93 Prozent der Afghaninnen und Afghanen nicht genügend Lebensmittel – vor allem, weil sie zu wenig Bargeld besitzen. "Es ist ein Rennen gegen die Zeit und den Schnee, um die lebensrettenden Hilfen der afghanischen Bevölkerung zukommen zu lassen, die sie am meisten brauchen", sagte die stellvertretende Regionaldirektorin des WFP, Antea Webb, zur Nachrichtenagentur Reuters.

Bei der Geberkonferenz sprach auch WFP-Chef David Beasley. Er sagte den Entscheidungsträgern, dass fast die Hälfte der Getreideernte in Afghanistan verloren sei. Die Kosten für Kochöl hätten sich verdoppelt, und "14 Millionen Menschen marschieren auf den Hungertod zu".

Die österreichische Bundesregierung hat in der vergangenen Woche bereits beschlossen, 18 Millionen Euro zu spenden. Die Summe wird an das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR, die UN-Frauenorganisation Women und das WFP ausbezahlt.

Prävention für Nothilfe wichtig

Der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller forderte vor der Geberkonferenz, dass die internationale Nothilfe reformiert wird. Er fordert, dass die Vereinten Nationen einen Fonds erhalten, den die Regierungen mit zehn Milliarden Euro füllen. Mit dem Geld sollen präventiv Maßnahmen in Krisenregionen gesetzt werden, damit Katastrophen verhindert werden. "Es kann nicht sein, dass erst gestorben werden muss. Es gilt, vorsorgend zu investieren", sagte Müller den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Noch vor dem Abzug der US- und Nato-Truppen aus Afghanistan war das Land auf ausländische Hilfen angewiesen. Mehr als drei Viertel aller öffentlichen Ausgaben stammten von internationalen Spendern. Und auch die Zusammenarbeit mit den Taliban ist für viele Hilfsorganisationen nicht neu, haben die radikalen Islamisten doch bereits in den vergangenen Jahren Teile Afghanistans kontrolliert, in denen NGOs tätig waren. (Bianca Blei, 13.9.2021)