Die Milchstraße, hier über dem Kantabrischen Gebirge in Nordspanien, ist keineswegs so homogen durchmischt wie bisher angenommen.
Foto: EPA/PEDRO PUENTE HOYOS

Unsere Heimatgalaxie ist im Grunde ein großer Sternenwirbel, was nahe legt, dass sich zumindest ihre Gas- und Staubwolken, das Baumaterial von Sternen, mit der Zeit einigermaßen gut durchmischen. Umso merkwürdiger ist es allerdings, dass in der Milchstraße Sterne geboren werden, deren Zusammensetzung von der vermuteten Verteilung der Elemente deutlich abweicht – ein kosmischen Rätsel, für das die Forscher bisher noch keine belastbare Erklärung gefunden hatten.

Als Astronomen mit dem Hubble-Weltraumteleskop und dem Very Large Telescope in Chile die Verteilung jener Elemente untersuchten, die Astronomen gemeinhin als Metalle bezeichnen – also eigentlich jedes Element außer Wasserstoff und Helium –, erlebten sie jedoch eine Überraschung: Der Grad der chemischen Anreicherung des Gases schwankt im interstellaren Raum überraschend stark.

Hinweise auf die Geburtszeit der Milchstraße

Theoretische Modelle gingen bisher davon aus, dass die Metallizität des Gases zwischen den Sternen überall in der Milchstraße die solare Metallizität aufweist, also dieselbe Menge an schweren Elementen wie die Atmosphäre unserer Sonne. Dem widerspricht ein internationales Forschungsteam um Annalisa De Cia von der Universität Genf nun.

Ströme von frischem, metallarmem Gas werden von außen angezogen (in violett), durchmischen sich in der galaktischen Scheibe bei genauerer Betrachtung (Vergrößerung) aber nicht besonders gut mit den bereits vorhandenen Gas- und Staubwolken.
Illustr.: UNIGE/Mark A. Garlick

Die Gase des interstellaren Raums seien alles andere als homogen durchmischt, berichten die Astronominnen und Astronomen im Fachmagazin "Nature". Diese Entdeckung spiele eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung theoretischer Modelle über die Entstehung und Entwicklung von Galaxien, sagte der Genfer Letztautor Jens-Kristian Krogager.

Der interstellare Raum enthält von Sternexplosionen herausgeschleuderte Materie, kosmische Staubkörner und Gase, die die Galaxie speisen. Dabei sei der Anteil an schweren Elementen durch die ganze Galaxie hindurch gleichmäßig verteilt, mit einem leichten Anstieg der Metallizität im Zentrum der Galaxie – so lautete die bisherige These. Diese Annahme basierte auf der Vermutung, dass sich durch die hohe Rotationsgeschwindigkeit der Galaxie das hineinströmende Gas im Nu mit dem bereits vorhandenen Gas mische, sagte die Astronomie-Professorin De Cia.

Schwankungen um mehrere Größenordnungen

Die Forschenden gingen dem mit Beobachtungen auf den Grund: Mithilfe des Hubble-Weltraumteleskops und dem Very Large Telescope (VLT) der Eso in Chile bestimmten sie, wie viel der schweren Elemente wie Eisen, Zink, Titan, Silizium und Nickel sich in Richtung von 25 Sternen befinden, der fernste Stern lag 9.000 Lichtjahre weit weg. Dabei fanden die Wissenschafter heraus, dass die Metallizität, beziehungsweise die chemische Zusammensetzung, in den untersuchten Regionen um den Faktor Zehn schwankt.

Position der 25 untersuchten Hauptreihensterne der Spektralklassen O und B.
Illustr.: De Cia et al.

Durchschnittlich betrug der Wert gerade einmal etwas mehr als die Hälfte der solaren Metallizität, einige Regionen wiesen sogar nur 17 Prozent der solaren Metallizität auf. Diese Unterschiede entstehen wohl deshalb, "weil sich neues, in die Galaxie hineinströmendes Gas mit dem bereits vorhandenen Gas nicht effizient vermischt", so De Cia. Es scheint so etwas wie "Klumpen" von ursprünglichem, metallarmem Gas in der Milchstraße zu geben, die in unserer Galaxie sogar überraschend häufig vorkommen.

Schwache Durchmischung

Ein hoher Anteil an schweren Elementen im interstellaren Gas erleichtert die Bildung von Sternen, Planeten und Molekülen. Doch neue Sterne können auch in Regionen entstehen, wo das Gas eine viel geringeren Anteil schwerer Elemente aufweist. "Bisher war es ein astronomisches Rätsel, wieso sich in unserer Galaxie noch immer solche Sterne bilden, weil bisherigen Modellen zufolge die Metallizität homogen über die gesamte Milchstraße verteilt war", sagte die Genfer Forscherin. "Unsere Messungen zeigen jedoch, dass dies nicht der Fall ist." Das Phänomen ließe sich nun mit der schwachen Durchmischung des frisch eingespeisten Gases erklären. (red, APA, 13.9.2021)