Ausgehend von der alten Idee der Ziereremiten wird im Innsbrucker Kunstpavillon der zeitgenössische Umgang mit (Kunst-)Produktion hinterfragt.

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Bescheidenheit ist eine Zier, die sich der Adel im 18. und frühen 19. Jahrhundert etwas kosten ließ. Man hielt sich sogenannte Schmuck- oder Ziereremiten, für die in den weitläufigen Parks und Landschaftsgärten eigene Einsiedeleien errichtet wurden und die der Überlieferung zufolge vertraglich dazu verpflichtet waren, ihre Abkehr von der Zivilisation möglichst zerzaust zur Schau zu stellen, sprich: Haare, Bärte oder Nägel schneiden war verboten.

Lange hielt sich dieses Berufsbild nicht, Ziereremiten wurden durch mechanische Puppen oder Holzfiguren ersetzt. Geblieben ist das Bild vom Berufsasketen, der der Erbauung der Wohlhabenden dient.

Es ist hochaktuell, behaupten die beiden deutschen Künstler Laura Ziegler und Stephan Janitzky und ziehen Parallelen zum "romantisierten Armen" und der sich hartnäckig haltenden Vorstellung vom Künstler als gesellschaftlichem Außenseiter in selbst gewählter Armut. Der Innsbrucker Kunstpavillon wurde zu diesem Zweck in eine Einsiedelei verwandelt. Man betritt ein kulissenhaftes Refugium, die Wände ziert ein Schachbrettmuster, das sich als das sogenannte Hermann-Gitter entpuppt. Es handelt sich dabei um eine von Ludimar Hermann 1879 entdeckte Kontrasttäuschung.

Systemrelevant

Antlitz Hermann Gitter lautet der Titel der Schau, in der Ziegler und Janitzky die Figur des Ziereremiten in ein Dickicht aus optischen Täuschungen, (Selbst-)Zweifeln und ironischen Verweisen auf Systemrelevanz und ökonomischer Verwertbarkeit verstricken.

Man trifft auf sinnfällig neben Kartoffelbergen herumlümmelnde Eremiten ebenso wie auf plakative Rationalisierungsvorschläge: Ein mechanischer Zeichenapparat wird auf einem Amazon-Karton präsentiert, es ist davon auszugehen, dass das, was er produziert, versandkostenfrei geliefert wird.

Die mit überdimensionalen Stielen ausgestatteten Ziegler Gläser werden auf Fake-Flyern beworben, die von billigen Vermarktungsversuchen zeugen. Irgendwo liegt das auf Karton gedruckte Polyeder aus Dürers Meisterstich Melencolia I, ein Eremit sucht in den Tiroler Bergen nach dem Stein der Weisen. Und das als Puppenspiel reinszenierte Gespräch mit den ehemaligen Redaktionsmitgliedern der in München herausgegebenen Zeitschrift Hilfe zeugt von kollektiver Selbstorganisation aus den 1990er-Jahren.

Begleittext: Honorarrichtlinien

Geplant war die Schau für Herbst 2020, als Fragen zum Kulturprekariat aus bekannten Gründen besonders virulent waren. Jetzt liegt neben dem Begleittext zur Ausstellung auch Infomaterial zu den zwischenzeitlich von der Tiroler Künstler:innenschaft in Kooperation mit der IG Bildende Kunst ausgearbeiteten Honorarrichtlinien auf. (Ivona Jelcic, 13.9.2021)