Auf Selbstsuche: Ab 1910 schuf Schiele expressive Selbstporträts.
Foto: albertina wien

Lachend sieht man den jungen Mann nie auf seinen Bildern. Egon Schiele blickt ernst, hilflos, schockiert, verzweifelt. Immer werden die Selbstporträts des großen österreichischen Malers ab 1910 von einer bis dahin nicht dagewesenen Ästhetisierung der Hässlichkeit dominiert. Schiele schreckte nicht davor zurück, den eigenen (nackten) Körper zum grotesken Motiv zu machen, ihn zu verrenken und zu verstümmeln. Durch diesen drastischen Schritt, mit dem Schönheitskult der Wiener Secession zu brechen, erschuf er mit dem uminterpretierten, expressionistischen Selbstbildnis nicht nur eine neue Kunstgattung, sondern prägte Künstlergenerationen nach ihm.

Dürer und Rembrandt

Die neue Schau Schiele und die Folgen im Untergeschoß der Albertina Modern versucht diese Auswirkungen einzufangen. Mit Werken aus den eigenen Sammlungen werden vier Räume gefüllt: Schiele als Auslöser stehen zwölf Künstler und Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts gegenüber – wie Maria Lassnig mit ihren visionären Körperempfindungen oder Arnulf Rainer mit seinen Gesichtsübermalungen.

Dass das Selbstporträt vor Schiele bereits eine lange Tradition hatte, stellt die von Elisabeth Dutz kuratierte Ausstellung gleich anfangs fest. Dennoch gilt "Schiele neben Dürer und Rembrandt als einer der wichtigsten Künstler des Selbstporträts", sagt Direktor Klaus Albrecht Schröder. Ein direktes Vorbild soll Schiele allerdings nicht gehabt haben.

Im ersten Bild der Ausstellung zieht sich der Künstler das Augenlid als Ausdruck höchster Skepsis nach unten – und zwar sich selbst gegenüber. Es existiert ein zweites Bild mit demselben Motiv, nur ist es noch im Stil der Secession gehalten. Weil er diesem braven Schönheitsideal nicht mehr gerecht werden wollte, verzerrte Schiele seinen Körper in der zweiten Version.

Gemalte Körperempfindungen: "Camera Cannibale" (1998) von Maria Lassnig.
Foto: Maria Lassnig Stiftung/ Bildrecht, Wien 2021

Dandy und Häftling

Zu den Gründen dieses Wandels zählten die Armut, in der Schiele aufgewachsen war, sowie der frühe Tod seines Vaters. Der psychische Zerfall des an Syphilis Erkrankten kann als Indikator dafür verstanden werden, dass Schiele Menschen mit Geisteskrankheit und Hysterie studierte und die Beobachtungen in seine Arbeit einfließen ließ.

So sieht man Schiele mit verstörender Grimasse, in theatralischer Selbstinszenierung als Dandy mit Heiligenschein (Selbstporträt mit Pfauenweste) oder als Bewohner eines schmerzgeplagten, dürren Körpers. In jenen Zeichnungen verarbeitete der aus Tulln stammende Maler seine traumatisierende Inhaftierung in Neulengbach wegen der fälschlichen Anschuldigung, ein Mädchen verführt zu haben.

Am liebsten würde man eigentlich in diesem ersten Raum der Schau bleiben und sich in Schieles Selbstbildnissen verlieren. Schon fast vergessend, dass ja noch andere Künstler und Künstlerinnen gezeigt werden. Doch zur Enttäuschung setzen sich diese "Folgen" – nicht wie man es von anderen Dialog-Ausstellungen gewohnt ist – nur als separater Anhang ohne Übergang fort. Schade. Auf den Kontrast von Günter Brus’ Aktionismus neben Schieles Expressionismus muss man leider verzichten.

Leider kein direkter Kontakt: Günter Brus' Aktionsserie "Selbstbemalung/Selbstverstümmelung" (1964) neben Schieles grotesken Selbstbildnissen wären durchaus spannend gewesen.
Foto: Ludwig Hoffenreich

Bananen und Nacktheit

Arnulf Rainers geschundene Selbstbildnisse sind noch prominent anschließend an Schiele zu finden, die restlichen Positionen kuscheln sich in die hinteren Kellerräume: Dort posiert Erwin Wurm mit Banane in Mund und Schritt neben Karin Mack, die in Bügeltraum den Albtraum der traditionellen Frauenrolle sichtbar macht, und Chef-Feministin Valie Export mit ihrer offenherzigen Aktionshose.

Selbstermächtigend spreizt auch weiter hinten Elke Krystufek ihre Beine und erinnert an Schieles nackten Körper. Dass sich dieser auch masturbierend darstellte, findet bei Kopfsteh-Meister Georg Baselitz Widerhall: In Zeichnungen scheint sich dieser mit einem riesigen Phallus herumzuplagen. Die als Clown verkleidete Cindy Sherman kann als Königin der Maskerade nur spöttisch grinsen. (Katharina Rustler, 13.9.2021)