Die Bilder sind beeindruckend: Am Nachthimmel über dem westrussischen Gebiet Pskow werfen 20 Transportflugzeuge unter dem Schutz mehrerer Kampfjets 30 Panzerfahrzeuge und über 600 Fallschirmjäger in voller Kampfmontur und mit modernsten Nachtsichtgeräten ausgestattet ab.

Es ist nur eine kleine Episode des Militärmanövers "Sapad-2021", das Russland und Belarus (Weißrussland) zwischen dem 10. und 16. September veranstalten. Mit 200.000 Soldaten ist es die größte Truppenübung in Osteuropa im 21. Jahrhundert. Die Gefechtsübungen unter dem Kommando der beiden Generalstäbe erstrecken sich von der Ostsee bei Kaliningrad über ganz Belarus bis hin zum südwestrussischen Gebiet Woronesch nahe der ukrainischen Grenze und Nischni Nowgorod östlich von Moskau.

Das Manöver sei "gegen niemanden gerichtet", versicherte Russlands Präsident Wladimir Putin beim Treffen mit seinem belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko. "Aber seine Durchführung ist logisch, wenn andere Allianzen, die Nato beispielsweise, aktiv ihre militärische Präsenz an der Grenze unseres Unionsstaats und dem Gebiet des Paktes für kollektive Sicherheit ausbauen", fügte er warnend hinzu.

In der Militärübung "Sapad" demonstrieren Belarus und Russland militärische Stärke. 200.000 Soldaten wehren einen imaginären Angriff der Nato ab.
Foto: Imago / Henadz Zhinkov

Unionsstaat mit Sinn füllen

Der Ausbau der militärischen Zusammenarbeit ist eines von 28 Integrationsprogrammen, die Putin und Lukaschenko nun verabschiedet haben. Die meisten anderen zielen auf die Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen. Seit Mitte der 1990er-Jahre versuchen sich Minsk und Moskau an einer tieferen Integration unter dem Projektnamen Unionsstaat. Mehr als Deklarationen sind bisher nicht herausgekommen. Das neue Programm soll dies nun ändern.

Tatsächlich stehen ambitionierte Ziele auf der Agenda: So wollen Russland und Belarus eine gemeinsame Politik bei der Makroökonomie und Industrieentwicklung führen, die Zoll- und Steuerpolitik harmonisieren, Unternehmen beider Länder Zugriff zu Staatsaufträgen gewähren.

Für Lukaschenko besonders wichtig ist der geplante Übergang zu einem einheitlichen Gas-, Öl- und Energiemarkt. Die Idee unterfütterte Moskau damit, dass es dem Nachbarn für ein weiteres Jahr Gas zum subventionierten Preis von 128,5 Dollar pro 1.000 Kubikmeter verkauft – während auf den europäischen Spotmärkten der Preis gerade auf 700 Dollar gestiegen ist.

Auch die Integration des Zahl- und Bankensystems kann als Hilfe für den "letzten Diktator Europas" verstanden werden. Muss er doch fürchten, dass sein Land als Folge der westlichen Sanktionen nach der blutigen Niederschlagung der Proteste vom internationalen Zahlungsverkehr abgeschnitten wird.

Politintegration folgt später

Die Abhängigkeit Lukaschenkos von Moskau steigt, doch ein weiteres Mal ist es ihm gelungen, der vollständigen Vereinnahmung zu entgehen. "Ihr braucht nicht mit alten Phrasen um euch zu werfen, dass jemand geschluckt wird oder wir uns gegen den Willen der Völker vereinigen", dröhnte der 67-Jährige auf der anschließenden Pressekonferenz gegenüber den Journalisten.

Ein noch engeres Zusammengehen werde es erst dann geben, wenn er und Putin dies gemeinsam entschieden haben, sagte er.

Der Kremlchef zeigte sich ebenfalls geduldig. Es gelte zunächst einmal die Wirtschaft beider Länder zusammenzuführen. Dies sei "die Basis für eine politische Integration", sagte Putin. Künftig könne das Thema eines gemeinsamen Parlaments aber wieder aufkommen, betonte er.

Die russische Führung versucht Assoziationen mit einer neuen Sowjetunion zu vermeiden und hat in der Vergangenheit die EU als Vorbild für Integrationsbestrebungen genannt. Moskau kann sich dabei nun Geduld leisten. Lange Zeit galt eine Vereinigung mit Belarus als beste Möglichkeit, die Amtszeit von Wladimir Putin zu verlängern: Dieser wäre dann als Präsident eines neuen Staats vereidigt worden. Mit der Verfassungsänderung 2020, die es ihm ermöglicht, bis 2036 zu regieren, ist das nicht mehr nötig, sodass der Kreml in Ruhe abwarten kann. (André Ballin aus Moskau, 13.9.2021)