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Wien – Trotz der Covid-19-Pandemie ist die Zahl der Bezieherinnen und Bezieher von Mindestsicherung beziehungsweise Sozialhilfe im Jahr 2020 weiter zurückgegangen. Laut Statistik Austria erhielten insgesamt 260.114 Personen die Unterstützung, um 7.569 oder 2,8 Prozent weniger als 2019. Rechnet man in Bedarfsgemeinschaften, was auch die Kinder miteinbezieht, waren es 277.650 Personen (minus 9.943 Personen, entspricht minus 3,5 Prozent). Die Ausgaben stiegen um 5,0 Prozent auf insgesamt 959 Millionen Euro.

Die Maßnahmen zur Corona-Krisen-Bewältigung (vor allem Einmalzahlungen an Arbeitslose, befristete Anhebung der Notstandshilfe, Mietstundungen, Kurzarbeitsbeihilfen, diverse Wirtschaftshilfen) haben laut Statistik Austria wesentlich dazu beigetragen, dass die Mindestsicherung 2020 nicht in verstärktem Ausmaß in Anspruch genommen werden musste. Die rückläufige Entwicklung hat sich damit fortgesetzt, hieß es am Dienstag.

Abnahme des Leistungsbezugs

Nach starken jährlichen Zuwächsen bis 2016 und der Trendumkehr im Folgejahr sei seither eine Abnahme des Leistungsbezugs zu beobachten, hieß es. In der Statistik des Vorjahres ist erstmals der unter der ÖVP/FPÖ-Koalition beschlossene – in Kernbereichen vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene – Umbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur Sozialhilfe eingegangen; allerdings hatten nur Nieder- und Oberösterreich dies im Jahr 2020 bereits umgesetzt.

Die rückläufige Entwicklung der Jahressumme war – mit deutlichen Unterschieden (Wien: minus 0,9 Prozent, Vorarlberg: minus 10,4) – in allen Bundesländern gegeben, während im Jahresdurchschnitt zwei Länder mit minimalen Zuwächsen (Kärnten: plus 0,2 Prozent, Wien: plus 0,4) von der generellen Entwicklung abwichen.

Wien an der Spitze

Wie in den Vorjahren lag Wien mit einer überdurchschnittlich hohen Bezugsquote von 7,1 Prozent (Anteil der Personen in der Mindestsicherung an der Jahresdurchschnittsbevölkerung) deutlich vor den anderen Bundesländern, deren Mindestsicherungsquote von 0,6 (Oberösterreich) bis 1,5 (Vorarlberg) reichte (Bundesländerdurchschnitt: 2,3 Prozent). Im Durchschnitt gerechnet hatten fast zwei Drittel ihren Wohnsitz in Wien, während im restlichen Österreich zwischen einem (Burgenland) und acht Prozent (Niederösterreich, Steiermark) der Unterstützten lebten.

Es bezogen geringfügig mehr Personen aus Drittstaaten (46 Prozent) als österreichische Staatsangehörige (45 Prozent) Mindestsicherung; der Rest setzte sich aus EU-/EWR-/Schweizer Staatsangehörigen (sieben Prozent) und sonstigen Personen (zwei Prozent; unbekannte Staatsangehörigkeit oder staatenlos) zusammen. 37 Prozent waren Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte. Tirol und Vorarlberg wiesen sowohl bei diesen wie bei den nichtösterreichischen Mindestsicherungsbeziehern insgesamt überdurchschnittlich hohe Anteile auf.

Die monatliche Leistungshöhe pro Bedarfsgemeinschaft lag im Jahresdurchschnitt 2020 bei 699 Euro (plus 4,7 Prozent gegenüber 2019). In Vorarlberg (807 Euro) und Tirol (774 Euro) war der Anspruch auf Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs am höchsten, in Oberösterreich (537 Euro) und dem Burgenland (570 Euro) am niedrigsten. Umgerechnet auf eine Person betrug die monatliche Mindestsicherungshöhe durchschnittlich 365 Euro (plus 7,6 Prozent) und reichte auf Bundesländerebene von 293 Euro in Oberösterreich bis 384 Euro in Wien.

Die Ausgaben der Länder und Gemeinden für die Mindestsicherung betrugen im Jahr 2020 insgesamt 959 Millionen Euro (Lebensunterhalt und Wohnen: 906 Millionen Euro, Krankenhilfe: 53 Millionen Euro), das waren um 46 Millionen Euro (plus 5,0 Prozent) mehr als im Vorjahr. Der Anteil der Mindestsicherung an den Sozialausgaben insgesamt belief sich weiterhin auf weniger als ein Prozent. Noch stärker als beim Leistungsbezug entfiel der Großteil der Mindestsicherungsausgaben auf Wien (69 Prozent), während die Ausgabenanteile der anderen Bundesländer zwischen einem Prozent (Burgenland) und sieben Prozent (Steiermark, Niederösterreich) lagen.

70 Prozent erhielten Aufstockung

Über 70 Prozent der Bedarfsgemeinschaften – die Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus einer oder mehreren Personen, ist die Einheit der Leistungsbemessung in der Mindestsicherung – erhielten eine Aufstockung beziehungsweise Ergänzung zu ihren angerechneten Einkünften (Teilbezug). Im Vollbezug der Mindestsicherung (keine Person hat ein anrechenbares Einkommen) steht traditionell die Minderzahl der Bedarfsgemeinschaften (2020: 29 Prozent); gegenüber dem Vorjahr haben letztere (plus 4,5 Prozent) zu- und erstere (minus 1,1 Prozent) abgenommen.

Sozialminister Wolfgang Mückstein (Grüne) betonte in einer Aussendung, dass viele Menschen, vor allem Kinder, auf das letzte soziale Sicherungsnetz angewiesen seien. "Wir wollen gemeinsam und solidarisch aus der Krise kommen. Wir schauen aufeinander. Deshalb ist es gut, dass es hier einen rückläufigen Trend gibt. Der zeigt, dass unsere Maßnahmen, etwa die Kurzarbeit, die Erhöhung der Notstandshilfe und verschiedene Einmalzahlungen zum Abfedern der sozialen Auswirkungen der Pandemie bei Personen mit sehr geringem Einkommen gut gewirkt haben", erklärte er.

Sein Ministerium verwies auch darauf, dass die 20 ATX-Unternehmen im Vorjahr Dividenden in der Höhe von 3,2 Milliarden Euro an ihre Aktionäre ausgezahlt hätten. Trotz Pandemie und Wirtschaftskrise seien diese also mehr als dreimal so hoch wie die Ausgaben für die gesamte Mindestsicherung/Sozialhilfe.

Kritik von Armutskonferenz und Caritas

Kritik kam vom Netzwerk Armutskonferenz. "Die rückläufigen Zahlen in der Sozialhilfe dürfen nicht über die massiven Probleme hinwegtäuschen, die die neuen Gesetze im Land auslösen", hieß es in einer Aussendung. "Die negativen Auswirkungen der in manchen Bundesländern bereits umgesetzten Sozialhilfe auf Menschen mit Behinderungen, Wohnen, Frauen in Not, Gesundheit, Kinder und Familien sind massiv." Betroffen seien beispielsweise Menschen in teilbetreuten Wohngemeinschaften, im Übergangswohnen sowie in psychosozialen Wohnheimen.

Caritas-Präsident Michael Landau warnte in einer Aussendung vor zu schnellen Schlüssen: "Für viele Menschen ist die Gesundheitskrise längst zu einer sozialen Krise geworden." Entgegen dem rückläufigen Trend habe die Zahl der Personen mit Vollbezug in der Mindestsicherung oder Sozialhilfe um 4,5 Prozent zugenommen. In Beratungsstellen suchten vermehrt jene Personen Hilfe, die Leistungen aus der Sozialhilfe bekommen. "Das zeigt ein strukturelles Problem in der Ausgestaltung der Sozialhilfe neu auf. Fakt ist: Sie reicht viel zu oft nicht aus, um ein existenzsicherndes Leben führen zu können", so Landau. Er forderte eine Reform der Sozialhilfe neu.

Ein Blick in die nun vorliegende Statistik mache klar, dass die derzeitige Ausgestaltung nicht ausreiche. Die durchschnittliche Bezugshöhe pro Bedarfsgemeinschaft lag 2020 lediglich bei 699 Euro, während ein Ein-Personen-Haushalt rund 1.328 Euro benötige, um nicht armutsgefährdet zu sein. Besonders gefährdet seien Familien mit Kindern. (APA, red, 14.9.2021)