Demonstration in Kandahar.

Foto: AFP/ Javed TANVEER

Kandahar/Kabul – In der südafghanischen Stadt Kandahar haben tausende Menschen gegen die radikalislamischen Taliban protestiert. Die Menge habe sich vor dem Regierungssitz des Gouverneurs versammelt, nachdem rund 3.000 Familien aufgefordert worden waren, eine Wohnsiedlung des Militärs zu räumen, sagte ein Mitarbeiter der ehemaligen Regierung am Dienstag der Nachrichtenagentur Reuters. Zudem waren auf Videoaufnahmen örtlicher Medien Menschen zu sehen, die eine Straße in der Stadt blockierten.

In der Siedlung leben bisher Angehörige von Armeemitgliedern, manche von ihnen schon seit über 30 Jahren. Nach Angaben des Ex-Regierungsmitarbeiters wurden ihnen drei Tage Zeit gegeben, um das Areal zu verlassen. Von den Taliban war zunächst keine Stellungnahme zu bekommen.

Mehr als 10.000 Menschen betroffen

In dem Viertel leben nach Angaben von Bewohnern mehr als 10.000 Menschen, darunter viele Frauen von Soldaten, die in den vergangenen 20 Jahren im Kampf gegen die Taliban verletzt oder getötet wurden.

Der Gouverneur von Kandahar ordnete nach den Protesten an, die Räumungen auszusetzen, damit der Ältestenrat darüber beraten könne. In einer Mitteilung hieß es, nicht alle Häuser gehörten dem Staat. Einige seien auch von Privatleuten gebaut worden. Kandahar ist die zweitgrößte Stadt Afghanistan und Geburtsstätte der Taliban.

In der Hauptstadt Kabul wies ein Taliban-Sprecher Berichte über tödliche Machtkämpfe an der Spitze der Gruppierung zurück. Der stellvertretende Ministerpräsident Mullah Abdul Ghani Baradar habe in einer Sprachbotschaft Behauptungen widersprochen, er sei bei einer Schießerei mit Rivalen getötet worden, twitterte Taliban-Sprecher Sulail Shahin. Zudem veröffentlichten die Taliban ein Video, das Baradar bei einem Treffen in Kandahar zeigen soll. Reuters konnte die Authentizität des Videos zunächst nicht überprüfen.

In Kabul gibt es Spekulationen, dass es zu Zusammenstößen zwischen Anhängern Baradars mit denen von Innenminister Sirajuddin Haqqani gekommen sein könnte. Bisher haben die Taliban immer Machtkämpfe an ihrer Spitze bestritten.

Baradar ist seit einiger Zeit nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Dasselbe gilt für den obersten Taliban-Führer Mullah Haibatullah Akhundzada. Die Spekulationen über ihren Verbleib werden befeuert durch den Umgang mit dem Tod von Taliban-Mitbegründer Mullah Omar, Staatsoberhaupt während der ersten Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001. Omars Tod wurde 2015 offiziell bestätigt, zwei Jahre nach seinem Ableben. Das hatte damals heftige gegenseitige Anschuldigungen an der Taliban-Spitze ausgelöst.

Taliban kündigen transparente Verteilung von Hilfsgeldern an

Unterdessen hat der Außenminister der Taliban, Amir Khan Muttaqi, am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Kabul versprochen, die bei der UN-Geberkonferenz zugesagten humanitären Hilfen in Milliardenhöhe für alle nachvollziehbar an Bedürftige zu verteilen. "Das Islamische Emirat wird sein Bestes tun, um diese Hilfe auf völlig transparente Weise an die bedürftige Bevölkerung zu verteilen", sagte Muttaqi.

Er bat die Geberländer, ihre Unterstützung für Afghanistan fortzusetzen. Speziell die USA forderte Muttaqi nun auf, großzügiger zu sein. "Amerika ist ein großes Land, sie müssen ein großes Herz zeigen", sagte Muttaqi. Er begründete seine Forderung damit, dass die Taliban den USA bei ihrem Abzug und der Evakuierung von Ausländern per Luftbrücke geholfen hatten. "Aber anstatt sich zu bedanken, sprechen sie davon, Sanktionen gegen unser Volk zu verhängen", sagte Muttaqi.

Insgesamt 1,2 Milliarden Dollar an Unterstützung

Die USA hatten bei der Geberkonferenz am Montag 60 Millionen Dollar (54 Millionen) Euro Hilfe zugesagt. Zum Vergleich: In den 20 Jahren des US-Militäreinsatzes in Afghanistan hatte Washington mehr als zwei Billionen Dollar zur Stützung der nun gestürzten Regierung ausgegeben.

Insgesamt kamen der UNO zufolge am Montag 1,2 Milliarden Dollar (1,02 Milliarden Euro) zusammen. Deutschland und Frankreich versprachen jeweils 100 Millionen Euro. UN-Generalsekretär António Guterres hatte die internationale Gemeinschaft bei der Gelegenheit zur Zusammenarbeit mit den Taliban aufgerufen. Er glaube, die Hilfszahlungen könnten als Druckmittel eingesetzt werden, um die Islamisten zur Achtung der Menschenrechte zu bewegen.

Afghanistan ist seit Jahren auf internationale Hilfen angewiesen. Bereits Ende vergangenen Jahres hatten die Vereinten Nationen zu Hilfen im Umfang von 1,3 Milliarden Dollar aufgerufen. Der entsprechende Topf ist aber nach wie vor stark unterfinanziert. (APA, Reuters, 14.9.2021)