Der Untertitel "Die Sammlung Belvedere von Lassnig bis Knebl" spannt den Rahmen auf. Darin findet auch "Joan" der Künstlerin Jakob Lena Knebl Platz.
Foto: Johannes Stoll / Belvedere Wien

An den Anblick muss man sich erst einmal gewöhnen. Komisch, denn eigentlich wirken die beiden, als ob sie schon immer ein ungleiches Paar gewesen wären: Fritz Wotrubas Große sitzende Figur mit verschränkten Armen und gespreizten Beinen hat neben dem grobschlächtigen Kontaktgrill der Bildhauerin Toni Schmale Platz genommen. Massiver Stein trifft kühlen Stahl. Obwohl die beiden mehr als 60 Jahre trennen, scheinen sie sich gefunden zu haben.

Solch spannende Kompositionen ziehen sich durch die gesamte Ausstellung Avantgarde und Gegenwart, die ab Mittwoch im Obergeschoß des Belvedere 21 geöffnet ist. Zwar ist es eine aus der Not geborene Idee gewesen, eine Sammlungspräsentation als Herbstschau zu zeigen, das Ergebnis kann sich aber sehen lassen: Kuratorin Luisa Ziaja hat sich da einiges angetan und 140 Positionen aus den Kollektionen des Belvedere sowie der Artothek des Bundes, die seit 2011 vom Museum betreut wird, ausgewählt und miteinander kombiniert.

Dass dabei historische Werke mit zeitgenössischen zusammengestellt werden, scheint im Trend zu liegen. Zuletzt wurde das im Mumok bei der Jubiläumsausstellung Enjoy erfolgreich umgesetzt. In den letzten Jahren versuchen Museen zunehmend, ihre Sammlungen aus einer heutigen Perspektive zu betrachten und so auch diverser zu präsentieren.

"Doppelselbstporträt mit Kamera" (1974) von Maria Lassnig befindet sich als Dauerleihgabe der Artothek des Bundes in der Sammlung des Belvedere.
Foto: Belvedere Wien / Maria Lassnig Stiftung / Bildrecht, Wien 2021/ Johannes Stoll

Lulu und Lücken

Im Belvedere 21 beginnt dieses sehr dichte Arrangement bereits in den 1930er-Jahren. Bedrückende Gemälde von Rudolf Wacker oder Albert Paris Gütersloh werden von einer Videoarbeit von Borjana Ventzislavova von 2018 gespiegelt: Fünf Frauen versuchen darin mit Ritualen die Geister des Nationalsozialismus zu vertreiben und so Vergangenes zu verarbeiten. Neben einem surrealen Werk des fantastischen Realisten Rudolf Hausner pinkelt Ashley Hans Scheirl im Stehen neongelbe Spuren auf einen Felsen.

Zwar liefert ein Booklet (und auch die App Smartify) reichlich Zusatzinformationen zu etwa der Hälfte der gezeigten Werke. Die in der Schau fehlenden Saaltexte sind aber ein großes Manko. Ein derartiger Versuch einer Überblicksschau braucht diese auch an der Wand – vor allem, wenn sie bis 2023 läuft.

In verwinkelten Gassen führt die Schau anhand mehrerer (nicht linearer) Erzählstränge zu wichtigen Bewegungen und Schulen der österreichischen Kunst – springt aber immer wieder in die Gegenwart.

Sehr erfrischend sind unbekanntere Positionen (erst jüngst erworben: eine Arbeit aus Porzellan und Sand der türkischen Künstlerin Canan Dagdelen) neben den ganz großen Namen platziert. Und vorbildlich: 50 Prozent sind weiblich. Auch die eigentliche Lücke der Sammlung, wenige Hauptwerke von Lassnig, Rainer und Co zu besitzen, gerät hier zur Stärke. Prominent finden sich selten gesehene Serien der feministischen Avantgarde und werden mit neuen, diversen Positionen von Anna-Sophie Berger, Jakob Lena Knebl oder Matthias Herrmann erweitert. Die Früchte dürfen geerntet werden. (Katharina Rustler, 14.9.2021)