Wenn Sie diesen Artikel wegen des Fotos angeklickt haben, dann haben Sie "Queerbaiting" eigentlich schon verstanden. Aber es ist komplizierter.

Foto: AFP

Die MTV Video Music Awards mögen heute irrelevant sein, zumindest ein Auftritt war es nicht: Die junge R-’n’-B-Aufsteigerin Normani präsentierte ihre aktuelle Single Wild Side, eine Hommage an die Hochphase von 90ies-R-’n’-B. Die Nummer basiert auf einem Aaliyah-Sample, die Outfits der Tänzerinnen und Tänzer gemahnten an das legendäre No Scrubs-Video von TLC, die Choreo war Destiny’s-Child-würdig, und gegen Ende wurde noch ein Kreuz auf die Bühne gebracht:

Darauf festgezurrt befand sich die Musikerin Teyana Taylor, die von Normani einen Lap-Dance verpasst bekam. Eine Hommage an Janet Jackson, die selbiges früher bei Konzerten tat – nur mit einem Mann aus dem Publikum als Genagelter. So großartig Normanis Show auch war, ein Kritikpunkt ließ nicht lange auf sich warten: Was die Sängerin mit ihrem Lap-Dance da betreibe, sei nichts anderes als Queerbaiting.

MTV

Queerbaiting ist, wenn heterosexuelle Promis sich punktuell homo- bzw bisexuell geben, um daraus einen (aufmerksamkeits)ökonomischen Gewinn zu erzielen. Vielleicht helfen Beispiele: Der Kuss zwischen Britney Spears, Christina Aguilera und Madonna bei den VMAs 2003 gilt als klassischer Fall von Queerbaiting, Katy Perrys I Kissed A Girl fällt auch in diese Kategorie.

Es ist völlig klar, dass Queerbaiting in der LGBTQI-Community stark kritisiert wird, weil eine sexuelle Orientierung nicht zu Entertainment-Zwecken performt werden sollte. In der Realität ist die Sache aber diffiziler (geworden).

Erstens, weil sich in den letzten Jahren ein viel fluiderer Begriff von Sexualität durchzusetzen begonnen hat. Besonders bei jüngeren Menschen gilt sie nicht mehr als starre Kategorie, es wird auch nicht automatisch davon ausgegangen, dass jemand hetero ist (oder bleibt).

Aber selbst wenn es eine starre Kategorie wäre, könnte nur wissen, ob etwas sich um Queerbaiting handelt oder nicht, wer die sexuelle Orientierung jedes in der Öffentlichkeit stehenden Menschen kennt. Und die soll uns ja herzlich egal sein.

Queerbaiting oder nicht – jemand wie Normani spielt ganz bewusst mit dieser komplexen Gemengelage. So ist ihre Performance nicht nur eine Hommage an die 90er, sondern – Stichwort "Darf sie das?" – aktuellster Zeitgeist. (Amira Ben Saoud, 15.9.2021)