Beim Streaming ist Matthias Settele als Markíza-Generaldirektor dem ORF ein gutes Stück voraus.

Foto: Christian Fischer

Matthias Settele, könnte man sagen, ist schon ein Stück weiter als seine Generaldirektorenkollegen auf dem Küniglberg. Der Generaldirektor der slowakischen Sendergruppe Markíza lässt für 2022 acht Serien für seine Streamingplattform Voyo produzieren. Sie werden erst auf dem Videoplayer der Privatsendergruppe laufen, später im gewohnten, linearen Fernsehen.

Der öffentlich-rechtliche ORF und sein Generaldirektor Alexander Wrabetz wie der ab 2022 führende General Roland Weißmann hoffen noch, dass ihnen eine Gesetzesnovelle all das bald erlaubt. Bewegtbildformate online first, online only zu produzieren, ist dem ORF verboten. ÖVP und Grüne, deren Stiftungsräte Weißmann im August bestellt haben, sollen recht weit sein mit einer Digitalnovelle für den ORF. Noch ist die Starthilfe für Weißmann nicht im Ministerrat.

Erst bestellt der ORF-Stiftungsrat am Donnerstag mit der türkisen Mehrheit und wohl auch den Grünen drei Zentraldirektorinnen und einen Direktor, zudem neun Landesdirektoren mit ebenfalls deutlich höherem Frauenanteil als bisher.

"Programm, nicht Technik"

Den international erfahrenen Medienmanager Settele hätten etwa grüne Stiftungs räte als Technikdirektor gut gefunden, und das tat wohl auch General Weißmann. Doch Settele hat wie berichtet abgewinkt, ihm die ORF-Technik grundlegend neu zu organisieren: "Meine Stärken liegen im Programm, in der Produktion und den News sowie neuerdings auch im Streaming, aber immer eben auf Inhalte, Finanzen und Marketing bezogen und nicht auf IT und Technik."

Eine Digitaldirektion mit Technik hätte Settele wohl gereizt – wenn sie inhaltliche, programmliche Kompetenzen bekommen hätte. Offenbar gab es diese Perspektive nicht im komplexen Gefüge der ORF-Direktionen, die Wrabetz konstruiert hat und Weißmann – trotz Kritik an Wrabetz’ Strukturen – vorerst übernimmt.

Settele, heute 54, hat Germanistik und Geschichte studiert, als Journalist beim ORF Wien begonnen, war Bürochef bei General Gerhard Zeiler, ging mit ihm zur RTL Group und leitete dort die Programmwirtschaft wie Weißmann beim ORF. Er sanierte als Berater RTL in Kroatien und führte für den US-Konzern Turner (damals Time Warner) die skandinavische und baltische TV-Gruppe.

Seit 2013 ist er Generaldirektor von TV Markíza in der Slowakei. Ein Lebensziel, wenn man so will: "Ich wollte immer Chef werden, ohne zu wissen, dass das so hart wird. Jeder will etwas werden", sagt Settele. Das dürfte auch der frisch bestellte ORF-General Weißmann gerade recht ähnlich erleben.

Settele sicherte die Marktführerschaft von Markíza ab und brachte den Privatsender aus tiefroten Zahlen in Profitmargen von 37 Prozent. 35,4 Millionen Euro machte die Gruppe im Pandemiejahr 2020 vor Steuern und Abschreibungen, ein Höchststand in den 25 Jahren on air. Bei 95,8 Millionen Euro Jahresumsatz, grob ein Zehntel des nicht gewinnorientierten, großteils gebührenfinanzierten ORF.

Settele wurde im Frühjahr und Sommer als möglicher ORF-General gehandelt, vielleicht auch nur, um den türkisen Wunschkandidaten Weißmann in der öffentlichen General debatte etwas aus der Schusslinie zu nehmen. Der Niederösterreicher bewarb sich nicht, zu klar war offenkundig der Wunsch der Türkisen und ihrer Mehrheit im Stiftungsrat.

Irritierte Eigentümer

Wie würde sich eine ORF-Generalsbewerbung mit einem laufenden Vertrag als hochrangige Medienmanagerin oder hochrangiger Medienmanager vertragen? "Schwierig" nennt Settele das Prozedere etwas verharmlosend. Drei bis fünf Monate voller politischer Gespräche in Bund und Ländern können an die Spitze von Österreichs größtem Medienkonzern führen – wenn man zur bestimmenden Fraktion passt, ein großteils öffentlicher Prozess um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wer anderswo einen Job hat, tut sich da schwer, ohne die aktuellen Eigentümer zu irritieren.

Der TV-Manager lernt nun bei Markíza weiter, zum Beispiel: "Welche der Sportrechte" – sein Sender hat gerade alle Spiele der slowakischen Fußball-Liga gekauft – "oder der acht Serien, die wir jetzt mit unserem tschechischen Schwestersender produzieren, helfen uns, Streamingabos für 5,99 Euro im Monat zu verkaufen, welche helfen, dass die Leute dranbleiben?"

Zehn Prozent in Streaming

Zehn Prozent seines TV-Programm-Budgets von 50 bis 55 Millionen Euro gehen in Streaming. Beim ORF wären die zehn Prozent 30 bis 40 Millionen Euro, damit deutlich mehr, als der ORF 2021 für eigenproduzierte Filme und Serien im Fernsehen budgetiert hat.

Mit internationaler TV-Expertise könne man Formate in den lokalen Markt übersetzen, sagt Settele: "Unsere Daily Soap stammt aus Argentinien, unsere Krankenschwesternserie aus Finnland." Doch: "Im Streaming gibt es wenig Erfahrungswerte, selbst Netflix ist nicht so alt." Eine Signature-Serie wie Game of Thrones (HBO) oder Damengambit (Netflix), "das schafft der Algorithmus nicht", sagt Settele, wiewohl fasziniert vom Dateneinblick in das Streamingverhalten der User.

Er greift zum spielerischen Vergleich: "Im Fußball ist alles datenbasiert, wir beziffern jeden Kilometer, den ein Spieler gelaufen ist, wie viele Pässe, wie viele Tore er geschossen hat. Alle spielen im taktischen Korsett, das der Trainer entworfen hat. Und dann kommt da ein verrückter Austroserbe wie Marko Arnautović und macht das Unerwartete. Und genau deshalb ist der so viel wert." Gemeint: Es braucht Know-how und Regeln, ein System, und die Menschen, die sich daran halten. Entscheidend für den ganz großen Erfolg seien jene, die auf Logik und System pfeifen können und Tore schießen. Die braucht man im Team, sagt Settele, und es klingt nach Trainerperspektive. (Harald Fidler, 15.9.2021)