Im Februar 2017 strandeten an der Landzunge Farewell Spit in Neuseeland Hunderte Wale. Möglicherweise spielt Quecksilber im Meer eine Rolle bei solchen Ereignissen.

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Immer wieder passiert es, dass einzelne Wale in seichte Gewässer in Küstennähe geraten und sich nicht mehr aus eigener Kraft befreien können. Seltener kommt es zu regelrechten Massenstrandungen, wie etwa im Februar dieses Jahres, als zahlreiche Helfer an der Landzunge Farewell Spit im äußersten Norden der neuseeländischen Südinsel um das Leben mehrerer Dutzend Grindwale kämpften. An der selben Stelle strandeten im Februar 2017 sogar über 600 Wale, fast 400 von ihnen konnten nicht gerettet werden.

Vielfältige Auslöser

Die Ursachen für derartige Tierdramen sind nach wie vor rätselhaft und dürften einigermaßen vielfältig sein. Biologen vermuten unter anderem Lärm durch den Schiffsverkehr und Sonar, aber auch extreme Wetterbedingungen oder Gezeitenströmungen. Außerdem wiesen Studien in der Vergangenheit darauf hin, dass ein von Algen produziertes Nervengift und sogar Sonnenstürme beim Orientierungsverlust der Meeressäuger eine Rolle spielen könnten.

Hinweise auf einen weiteren bisher kaum berücksichtigten Grund haben nun Experten der Universität Graz gemeinsam mit Kollegen aus Schottland und Frankreich entdeckt: Zum Stranden der Tiere könnte indirekt auch die Verschmutzung der Meere mit Quecksilber beitragen, berichten die Wissenschafter im Fachjournal "Analytical Chemistry".

Hohe Quecksilberkonzentrationen

"Die Vermutung liegt nahe, dass Quecksilber eine zentrale Rolle in diesem Vorgang spielt", sagt Umweltchemiker Jörg Feldmann von der Uni Graz. Die Konzentration des Schwermetalls im Meer – verursacht durch das Verbrennen von Kohle und industriellen Abfall – habe sich in den letzten Jahrhunderten verdreifacht. "Je höher ein Lebewesen in der Nahrungskette steht, desto größer ist die Konzentration von Quecksilber in den Zellen der Leber und des Gehirns. Und Wale stehen ganz oben", erklärte der Grazer Forscher.

Das internationale Forscherteam hat gestrandete und verendete Pilot- und Pottwale näher untersucht, um herauszufinden, wie stark die Meeressäuger belastet sind: Mithilfe der sogenannten NanoSIMS-Methode – einer speziellen Form der Massenspektrometrie – konnten sie die Leberzellen der mächtigen Säugetiere im 50-Nanometer-Bereich genauer unter die Lupe nehmen und Quecksilberpartikel in den Leberzellen nachweisen.

Fatale Selen-Umschichtung

"Die gigantischen Meeressäuger haben eine bis zu tausendmal höhere Konzentrationen als andere Meerestiere, was aber als unbedenklich eingestuft wird", schilderte der Chemiker. Das chemische Element Selen spielt dabei eine wichtige Rolle: Dieser Stoff ist für Säugetiere ein essenzielles Spurenelement, schützt die Zellen vor oxidativem Stress und ist auch für den Hirnstoffwechsel wichtig. Es bindet sich leicht mit Quecksilber und schaltet zugleich dessen toxische Wirkung aus, indem es eine Verbindung mit ihm eingeht und unlöslich wird. Auch diese Verbindungen können mit der neuen Methode gut gemessen werden.

"Wir haben festgestellt, dass sich die beiden Stoffe zu neugebildeten Micro- und Nanopartikeln verbinden und zu einem Quecksilberselenid werden", hielt Feldmann fest. Weil das Selen für die Detoxifizierung von Quecksilber gebraucht wird, fehlt es allerdings als Schutz fürs Gehirn. "So könnte der Mangel bei Walen zu Krankheiten wie zum Beispiel Epilepsie führen, die eine Orientierungslosigkeit auslösen und sie deshalb stranden lassen könnte", vermutete der Umweltchemiker.

Verhindern von Strandungen

Bei sozialen Herdentieren wie den Walen könnte sich der Mangel auch auf das Verhalten der ganzen Gruppe auswirken. Das wäre eine Erklärung, warum Wale oft in größerer Zahl stranden. Mit weiteren Analysen nach der neuen Methode möchte Feldmann die Quecksilberablagerungen in den Organen der Wale weiter untersuchen. "Vielleicht können wir irgendwann in der Zukunft mit überlegten Maßnahmen Strandungen ganzer Walgruppen gezielt entgegenwirken und sie auch verhindern. Dazu müssen wir nur wissen, was die Gründe für die Strandungen sind." (red, 20.9.2021)