Die Bewohnerinnen und Bewohner der japanischen Insel Okinawa zählen zu den ältesten der Welt. Nicht nur das Klima ist auf der Insel anders als im restlichen Land, auch das durchschnittliche Alter ist deutlich höher. Üblicherweise werden Frauen 87 Jahre alt, Männer 80 Jahre. Von den 3.000 Dorfbewohnerinnen und Dorfbewohnern sind 15 hundert Jahre oder älter, 171 sind in ihrem 90. Lebensjahr.

Dieses Phänomen des entspannten, langen Lebens könnte auf die Mentalität der inneren Zufriedenheit zurückgeführt werden. Denn nicht nur die Kampfkunst Karate findet auf der Insel ihren Ursprung, auch die japanische Lebensphilosophie Ikigai kann auf Okinawa zurückgeführt werden. Der Begriff besteht aus zwei Teilen: "iki" für "Leben" und "gai" für "Wert", wörtlich übersetzt also "lebenswert", und meint, nach dem zu suchen, was das Leben für jeden Einzelnen lebenswert macht. Wichtig dabei ist, dass das, was wir für uns persönlich auswählen, Spaß macht.

Ikigai hat zwei gedankliche Zusammenhänge. Einerseits dreht es sich um Aktivitäten, die das Leben für uns noch lebenswerter machen, da sie Freude bringen. Andererseits auch um das subjektive Empfinden schon im Zustand dieser Lebensfreude zu sein. Beide Aspekte unterstützen sich und zeigen sich im Leben eines Jeden unterschiedlich. Ikigai wird somit zu einer einzigartigen Lebensphilosophie des Einzelnen innerhalb der Gesellschaft, aber auch für die gesamte Gesellschaft.

Doch wie findet man dieses Ikigai?

Gebildet wird Ikigai aus vier unterschiedlichen Themenbereichen, die sich gegenseitig unterstützen. Um diesen näherzukommen, ist eine individuelle Reflexion notwendig. Fragen wie "Was kann ich gut?", "Wofür werde ich bezahlt?", "Was braucht die Welt?" und "Was bringt mir Freude?" sollen beantwortet werden. Durch die jeweiligen Schnittmengen dieser Bereiche können vier weitere Elemente gelesen werden: Leidenschaft, Mission, Beruf und Berufung. Diese Bereiche sollen dazu dienen, ein konkretes Muster für den Fragenden sichtbar zu machen. Sind diese vier Elemente erfolgreich in Balance, können sie einen unterstützenden Einfluss auf das Leben haben.

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Die Umsetzung im Alltag

Bei Ikigai geht es darum, dem Gefühl von tiefer Zufriedenheit ein wenig näherzukommen. Der Effekt von Ikigai ist klar im Lebensstil der Inselbewohnerinnen und Inselbewohner von Okinawa erkennbar – sei es die Beschäftigung mit der Kampfkunst des 102-jährigen Karatemeisters oder der wöchentliche Fischfang für die Familie des 100-jährigen Fischers. Die Einwohnerinnen und Einwohner sind Zeugen und Beispiele für eine glückliche Umsetzung der Lebensphilosophie. Die miteinander verbundenen Elemente von Leidenschaft, Mission, Beruf und Berufung zeigen, wie der Einzelne mit seiner Tätigkeit Freude empfinden und diese auf die Gesellschaft übertragen kann.

Für einige bedeutet die Umsetzung, eine tägliche Aufgabe zu finden, die nicht nur für einen selbst, sondern auch für das eigene Umfeld einen positiven Mehrwert bietet. Sich um die Pflanzen im eigenen Garten zu kümmern oder täglich mit dem Hund spazieren zu gehen sind Aufgaben, die über das Individuum hinausgehen und einen erfreulichen Einfluss auf andere haben.

Ikigai soll der Schlüssel für ein langes Leben sein.
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Das Verständnis von Ikigai sieht die Nächstenliebe als eine wichtige Komponente des Alltags, die einfach in jedes Leben integriert werden kann. Eine Theorie, warum die Menschen genau auf Okinawa überdurchschnittlich alt werden, ist die starke Einbindung in den Familienalltag. Bis ins hohe Alter werden die Menschen dort integriert, indem sie auf die Kinder aufpassen und somit ein wichtiger Bestandteil der gesamten Familie sind. Das ist ein Beispiel für eine Tätigkeit, die die vier Elemente Leidenschaft, Mission, Beruf und Berufung verbindet, sich auf einen selbst und das direkte Umfeld positiv auswirken kann und somit Ikigai widerspiegelt. (Hannah Doppel, 7.10.2021)