Thomas Schaufler, Privatkundenvorstand der Erste Group, glaubt daran, dass nachhaltige Investments die Gesellschaft verändern werden.

Foto: Marlene König

STANDARD: Mittlerweile haben wir gelernt, mit der Pandemie zu leben. Doch wie war der erste Lockdown aus Bankensicht? Die Leute haben Nudeln und Klopapier gehortet. Haben sie auch Geld gehortet?

Schaufler: Ja, das haben sie. Zu Beginn war Covid auch ein riesen Liquiditätsthema. Am Freitag vor dem ersten Lockdown haben die Kunden mehr als hundert Millionen Euro abgehoben. Teilweise wollten Kunden ihr gesamtes Bargeld abheben.

STANDARD: Was war das Motiv dafür? Bankomaten funktionierten ja auch im Lockdown ...

Schaufler: Auch die Banken waren ja offen. Auf Nachfrage hieß es dann oft, dass ab Montag ja alles zu habe. Hier war viel Aufklärung nötig, dass die Banken trotz Lockdowns offen haben. Auf den Hinweis, dass man das Geld nicht ausgeben kann, wenn die Geschäfte zuhaben, gab es oft auch die Erkenntnis 'Stimmt, ich brauche doch weniger Geld'. Viel von dem Geld, das anfangs panisch abgehoben wurde, floss in den nächsten Tagen wieder zurück auf Konten und Sparbücher. Das war ganz irrational.

STANDARD: Hat sich das Verhalten beim Bezahlen auch verändert?

Schaufler: Ja, anfangs hieß es ja, man solle nichts angreifen – auch Geld nicht. Damit sind die bargeldlosen Bezahlungen in die Höhe geschnalzt. Die Kartenzahlungen haben um 42 Prozent zugenommen. Hier hat auch geholfen, dass das bisherige Limit für kontaktloses bezahlen von 25 auf 50 Euro erhöht worden ist. Das Internetbanking hat um 20 Prozent zugenommen. In den ersten Lockdown-Tagen haben wir auch tausende neue Wertpapierdepoteröffnungen verzeichnet.

STANDARD: Wie ist der rasche Anstieg der Wertpapierdepots zu erklären? Gerade in den ersten Wochen der Pandemie gab es an der Börse abenteuerliche Kursrutsche – gefolgt von unfassbar schnellen Erholungen. Es war zu Beginn doch recht turbulent.

Schaufler: Als zu Beginn die Märkte runter gegangen sind, haben viele, die schon investiert waren, nachgekauft. Mit den ersten Anzeichen von Notenbanken und Regierungen, dass die Staaten der Wirtschaft und Betroffenen unter die Arme greifen werden, hat sich der Markt beruhigt. In den USA ist sehr schnell Geld geflossen – allerdings mit der Auflage, dass wenn es den Unternehmen später wieder gut geht, dieses Geld zurückgeführt werden muss. In Österreich ging es eher in die Richtung Zuschüsse und Verlustausgleich. Aber die Leute hatten plötzlich Zeit, sich mit dem Thema Veranlagung zu beschäftigen.

STANDARD: Wie war die Situation auf der Firmenkundenseite? Kreditstundungen aber auch Überbrückungskredite, Moratorien – all das war ein großes Thema.

Schaufler: Zu Beginn war das Hauptthema, die Überbrückungskredite ordnungsgemäß abzuwickeln. Nach ein paar Wochen waren die Prozesse gut eingespielt und wir haben innerhalb weniger Wochen so viele Förderungen abgewickelt, wie sonst in einem Jahr nicht.

STANDARD: Es scheint, dass Geld plötzlich unendlich vorhanden ist. Wenn man sich ansieht, wie viel derzeit in Start-ups fließt und wie viele Einhörner Österreich schon hat ...

Schaufler: Durch die Ankaufprogramme der EZB ist das ganze Bond-Geschäft auf einer Null-Rendite. Das Geld, das früher in Anleihenemissionen geflossen ist, sucht einen neuen Weg. Weil Anleihen keine Rendite abwerfen, sind sie für die Investoren nicht interessant. Also gehen diese in die nächst höhere Stufe und in Aktien oder Beteiligungen. Hier gibt es vereinzelt aber schon Bewertungen, die man genau anschauen muss. Vieles ist derzeit liquiditätsgetrieben, weil das Geld Veranlagung sucht.

STANDARD: Bei Investments wird das Thema Nachhaltigkeit immer größer. Wie hat sich das heuer entwickelt?

Schaufler: Wir haben mit der Erste Asset Management schon vor 20 Jahren begonnen, nachhaltige Investments anzubieten. Für uns war immer klar, dass der Zeitpunkt kommt, wo diese Form der Veranlagung einen Unterschied machen wird. Weil Investoren darauf achten werden, weil die Wahrnehmung am Markt für jene Unternehmen, die bestimmte Kriterien erfüllen, steigen wird. Zudem wollen Kunden einen Impact mit ihren Investments erzielen. Derzeit sind bei uns knapp 14 Milliarden Euro in den nachhaltigen Produkten veranlagt.

STANDARD: Immer wieder gibt es aber die Debatte, dass die Kriterien der Nachhaltigkeit jeder selbst definiert. Daher will die EU klare Leitlinien aufstellen. Wie weit ist dieses Vorhaben?

Schaufler: Die EU arbeitet noch daran. Im Sommer gab es einen ersten Vorschlag, die Ausarbeitung für EU-einheitliche Vorgaben laufen. International bauen die Ratingagenturen diesen Bereich aus. Sie prüfen, welche Fonds in welche Unternehmen veranlagt sind und achten darauf, dass bestimmte Standards eingehalten werden. In Österreich gibt es Gütesiegel – unter anderem vom Umweltministerium.

STANDARD: Die EU will ja auch, dass die Banken im Finanzierungsgeschäft darauf achten, mehr grüne und nachhaltige Projekte zu finanzieren. Wie läuft das in der Praxis?

Schaufler: Auch hier warten wir noch auf genaue Vorgaben. Das Thema wirft viele Fragen auf. Ein Beispiel: Die Grünen fordern im deutschen Wahlkampf gerade, dass der Ausstieg aus der Kohle vorgezogen wird. Auf der einen Seite stehen jetzt die kreditgebenden Banken, auf der anderen die Politik. Bekommen die Banken den Auftrag, bis 2050 ihr Kreditportfolio CO2-neutral zu haben und die deutsche Regierung sagt, wir steigen aber schon 2028 aus, dann stellt sich die Frage, was ich als Bank mit den Krediten mache, die an betroffene Unternehmen vergeben sind und bis 2040 laufen. Das muss über Europa hinaus abgestimmt werden. Hier fehlt mir noch die Gesamtheit der Betrachtung. Ebenso bei der E-Mobilität. Wenn wir diese wollen, braucht es noch viel an Infrastruktur und nachhaltige Energie.

STANDARD: Wenn Kunden ihr Geld schon nachhaltig investieren, wollen Sie dann auch wissen, was ihr Geld verbessert? Kann das gemessen werden? Denn trotz aller nachhaltigen Ansätzen gibt es immer noch Kinderarbeit und schlecht bezahlte Näherinnen in Asien. Was also tut dieses Geld Gutes?

Schaufler: Diese Investments werden nachhaltig die Gesellschaft verändern. Das Kapital, das heuer investiert wurde, geht zu 80 Prozent in Richtung Nachhaltigkeit. Setzt sich dieser Trend fort, werden große Konzerne auch mal vor einen Finanzierungsthema stehen. Bei den Hauptversammlungen werden Fragen zu Produktion und Lieferketten immer häufiger gestellt und kritisch hinterfragt. Rutscht man als Unternehmen hier in ein schlechtes Licht, wird das Nachteile bringen. Auch die großen Investmenthäuser wie Blackrock geben hier immer klarere Richtlinien für Investments vor.

STANDARD: Wie kommt es, dass sich Kunden jetzt doch vermehrt trauen, in Aktien und Fonds zu veranlagen?

Schaufler: Hier wirkt ein Mix an Themen: Jene, die auf steigende Zinsen gewartet haben, haben mit Corona gesehen, dass die Zinsen noch länger niedrig bleiben werden. Die Leute hatten im Lockdown vermehrt Zeit, sich mit Veranlagung auseinanderzusetzen. Das Thema Nachhaltigkeit hat viele abgeholt und die gestiegene Inflation hat zu einem Umdenken geführt.

STANDARD: Die Fondsindustrie fordert ja seit langem, dass jene, die langfristig investiert bleiben, auch ein Steuerzuckerl bekommen. Warum passiert in diese Richtung nichts?

Schaufler: Finanzminister Gernot Blümel hat das jetzt wieder thematisiert. Es steht auch im Regierungsprogramm, dass langfristige nachhaltige Investitionen begünstigt werden sollen. Das wäre schon ein gutes Paket für Anleger: Nachhaltigkeit, langlaufend, eigene Vorsorge und ein Steuerzuckerl.

STANDARD: Wie informieren sich Kunden über Investmentmöglichkeiten?

Schaufler: Die Berater sind hier immer noch Ansprechpartner Nummer eins. Mit unserem Banking-App George gibt es bald eine neue Initiative. Aufgrund der Kontobewegungen sehen wir ja, wie hoch die monatlichen Ausgaben sind. Hat man diese Ausgaben mal drei am Konto, so ist das eine gute Liquiditätsreserve. Hat man darüber hinaus noch verfügbares Geld, erhält der Kunde eine individuelle Information, dass die Überliquidität am Konto nicht optimal veranlagt ist. Dieser Teaser soll den Menschen Themen wie Fondssparen näher bringen. Kunden können mit ihrem Berater mittlerweile auch vollkommen remote kommunizieren.

STANDARD: Die FMA und die Oesterreichische Nationalbank (OeNB) haben die Banken für ihre Immobilienkreditvergabe gerügt. Tenor ist, die Banken würden Immo-Kredite zu leichtfertig vergeben, mit einer zu geringen Eigenmittelunterlegung. Was halten Sie dieser Kritik entgegen?

Schaufler: Die OeNB ist aufgrund der hohen Kreditnachfrage in Sorge. Wir haben unsere Auflagen was den Eigenmittelanteil bei Krediten betrifft aber überhaupt nicht verändert. Wir vergeben einen Kredit heute nicht anders als noch vor drei, vier Jahren. Was wir sehen ist, dass sich die Laufzeiten der Kredite verlängern. In den gehobeneren Immo-Segmenten haben wir unsere Auflagen sogar verschärft. Weil diese Objekte wiederzuverwerten wird selbst in Wien jetzt schon schwer, weil die Preise schon sehr hoch sind. In Österreich liegen immer noch 285 Milliarden Euro auf Spar- und Girokonten – hier kommt das Geld für die Immobilienkäufe und die hohe Nachfrage her.

STANDARD: Die Banken haben zuletzt begonnen, die Risikovorsorgen zurückzufahren. Wie ist die Lage nach 1,5 Jahren Pandemie?

Schaufler: Wirtschaftlich betrachtet sind wir jetzt in der Phase, wo der erste große Schock vorbei ist. Wir haben gelernt, mit der Pandemie umzugehen. Manche Industrien haben sich extrem gut aufgestellt und auch ihre Logistikkette optimiert. Wie es der Wirtschaft wirklich geht, wird man im nächsten Frühling sehen. Es wird sich zeigen, ob genügend Materialien und Lieferanten verfügbar sind. Die Frage wird für Europa gesamt sein, sich unabhängiger von internationalen Lieferketten zu machen. Die Industrie hat teilweise durchproduzieren können, die haben auch gute Gesundheitskonzepte etabliert. Bei kleineren Unternehmen wird es wohl noch zu Umwälzungen kommen. Einige Unternehmer wollen auch nicht mehr weitermachen, hier wird es zu Verkäufen kommen. (Bettina Pfluger, 16.9.2021)