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Nicht Volkswagen in Wolfsburg steht in Braunschweig vor Gericht, sondern Ex-Manager des Weltauto-Konzerns.

Foto: dpa / Sina Schuldt

Braunschweig/Wien – Der Zeitpunkt ist wohl kein Zufall. Fast genau sechs Jahre nach Ausbruch des Dieselskandals beginnt in Braunschweig der Strafprozess gegen hochrangige frühere Manager des Volkswagen-Konzerns. Die Staatsanwaltschaft wirft den Managern rund um den früheren Vorstandschef Martin Winterkorn gewerbs- und bandenmäßigen Betrug mittels manipulierter Software in elf Millionen Autos vor. Die Pkws stießen beim Fahren ein Vielfaches der erlaubten Werte an schädlichen Stickoxiden (NOx) aus. Bessere Reinigungstechnik wäre möglich, aber teurer gewesen.

Winterkorn wird dem in die Stadthalle Braunschweig verlegten Verfahren allerdings nicht beiwohnen. Sein Verfahren wurde aus gesundheitlichen Gründen abgetrennt. Gegen vier weitere angeklagte ehemalige Führungskräfte wird das Verfahren eröffnet.

Auslöser US-Behörden

Ins Rollen gebracht hatte den Stein, der in der Folge fast alle europäischen Autobauer erfasste, die US-Umweltbehörde Carb. Sie schickte am 18. September 2015 einen Brief an die VW-Vertretungen im Land. Darin rüffelten die Aufseher den Weltautokonzern – damals mit Werbung für "sauberen Diesel" unterwegs – wegen grober Überschreitung der Emissionsregeln. Bereits vorher hatte es Hinweise von Wissenschaftern auf Unregelmäßigkeiten im Abgassystem gegeben. Doch Volkswagen nahm Anfragen nicht sonderlich ernst.

Nach einer Hüftoperation noch rekonvaleszent und noch nicht vor Gericht: Ex-Volkswagen-Konzernchef Martin Winterkorn.

Foto: AFP / John Mac Dougall

Dann ging alles schnell. Winterkorn trat zurück, um Fassung ringend verabschiedete er sich von der Belegschaft, nicht ohne zu beteuern, dass er sich "keines Fehlverhaltens bewusst" sei. "Herr Winterkorn hatte keine frühzeitige Kenntnis vom gezielten Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware", erklärte Anwalt Felix Dörr.

Milliardenvergleich

So argumentiert man bis heute. Während VW in den USA Milliarden-Vergleiche mit Kunden schloss und ein Schuldanerkenntnis gegenüber dem Justizministerium abgab, spricht der Konzern in Europa lediglich von der "Dieselthematik". Tausende Kläger wurden noch nicht entschädigt – nicht nur in Österreich, wo in tausende VW-, Seat-, Škoda-, Audi- und Porsche-Modelle die verharmlosend als "Thermofenster" bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war.

Dieses inzwischen auch vom Europäischen Gerichtshof für unzulässig erklärte "Defeat Device" sorgt dafür, dass die Abgasreinigung nur auf dem Prüfstand und zwischen 15 und 33 Grad aktiv ist, bei Temperaturen darüber und darunter nicht.

Warten auf EuGH-Entscheidungen

Im Gegensatz zu Deutschland, wo tausende Investoren und Verbraucher entschädigt wurden, gelang dies in Österreich bis dato nur in Einzelverfahren. Die auf 16 Landesgerichte verteilten Sammelklagen des VKI im Namen von mehr als 9000 Konsumenten hingegen stehen, man wartet auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

Im VKI-Verfahren geht es nicht um Entschädigungszahlungen, die VW verweigert, sondern um Preisminderung, weil den Nutzern ein minderwertiges Fahrzeug verkauft wurde. Die Berechnung dieses Minderwertes gestalte sich schwierig, sagt der mit VKI-Klagen befasste Anwalt Michael Poduschka. Er hofft auf einen weiteren Spruch des EuGH zugunsten der Verbraucher. Den ersten gab es im Dezember, da kassierte das europäische Höchstgericht die verharmlosend als Thermofenster bezeichnete unzulässige Abschalteinrichtung. Der Einsatz von Abschalteinrichtungen sei nur vorübergehend zum Schutz des Motors zulässig, aber nicht generell.

Kleine Erfolge

Kleine Erfolge gab es auch in Sachen Verjährung: Der Oberste Gerichtshof in Österreich entschied, dass Unternehmen 30 Jahre lang geklagt werden können, wenn Vorstand oder Geschäftsführer eine schwere Straftat begehen (6 Ob 239/20w). Und das Bundesgericht in Karlsruhe beschied, dass Schadenersatz auch zusteht, wenn das Schummelauto längst weiterverkauft wurde.

Volkswagen ist diesbezüglich schon weiter, schloss mit seinen gefallenen Managern einen Schadenersatz-Deal im Volumen von 280 Millionen Euro wegen Fahrlässigkeit (nicht auf Vorsatz) – auch für Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und andere Top-Manager. Winterkorn zahlt 11,2 Millionen Euro an Volkswagen.

Noch ein Verfahren

Nicht zu verwechseln ist der nun beginnende Betrugsprozess mit den Finanzmarktverfahren, in dem sich Volkswagen-Manager verantworten müssen, weil Börsen und Aktionäre möglicherweise zu spät über die Malversationen informiert wurden. Der Kurs der VW-Aktie stürzte ab, massive Kursverluste waren die Folge. (Luise Ungerboeck, 16.9.2021)