Den Gusto auf Eierschwammerln darf man sich ob der jüngsten Meldungen nicht verderben lassen: In den meisten Regionen Österreichs sind sie unbedenklich.

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Als Ende April 1986 der Atomunfall in Tschernobyl passierte, war das Ausmaß der Katastrophe zunächst nicht bekannt. Es gab keine besonderen Maßnahmen, in Wien fand am 1. Mai sogar noch der Maiaufmarsch der SPÖ statt. Im Osten Österreichs blieb es trocken, Glück gehabt. In westlicheren Regionen des Landes ging allerdings Regen nieder. Dort, wo es besonders viel Niederschlag gab, sind auch heute im Boden noch hohe Werte des Radioisotops Cäsium-137 nachweisbar. Sie seien "besorgniserregend hoch", warnt die Umweltschutzorganisation Global 2000, die nicht nur im Boden Stichproben nahm, sondern auch in Eierschwammerln – und zwar auf der Stubwiesalm bei Spital am Pyhrn (Bezirk Kirchdorf) in Oberösterreich.

Der dort in den Eierschwammerln gemessene Wert von 7.563 Becquerel (Bq, radioaktive Zerfälle pro Sekunde) pro Kilogramm liegt mehr als zwölfmal über dem in der EU und Österreich geltenden Grenzwert von 600 Bq pro Kilogramm. Cäsium ist in den betroffenen Gebieten zwar von der Bodenoberfläche in oberflächennahe Schichten abgesunken – kann aber zum Beispiel von Pilzen aufgenommen und in ihnen angereichert werden. Tiere, die die Pilze fressen, können sehr stark belastet werden, warnen die Umweltschützer.

Finger weg!

Reinhard Uhrig, Atomsprecher von Global 2000, sagt im Gespräch mit dem STANDARD: "Man sollte die Finger lassen von Eierschwammerln in den durch Tschernobyl belasteten Regionen." Auch vom Verzehr von Maronenröhrlingen aus diesen Gegenden rät er ab.

Doch woher weiß man, ob der Boden kontaminiert ist oder nicht? Die Bodenbelastungskarte des Umweltbundesamtes gibt Auskunft darüber. Die Einfärbungen reichen von Grün (gut) bis Dunkelrot (schlecht). Zum Glück gibt es in gesamt Österreich nur wenige sehr rote Flecken – unter anderen jenen im Bereich Spital am Pyhrn, aber etwa auch unweit der Hohen Tauern in Salzburg oder im Schönachtal in Tirol. Im Osten dominiert die Farbe Grün, auch ganz im Westen und Südosten. Im Bereich Oberösterreich, in Teilen der Steiermark und Kärntens, in Salzburg und Teilen Tirols wird es gelb und orange – sie weisen der Farbgebung zufolge höhere Cäsium-Werte auf. In den Tagen nach dem Unglück in Tschernobyl hat es dort mehr geregnet als etwa im Osten.

"Die dargestellten Werte sind nicht Neues", sagt Irmgard Greilhuber, Präsidentin der Österreichischen Mykologischen Gesellschaft. Sie rät aber auch dazu, in den rot eingefärbten Regionen Vorsicht walten zu lassen. Man dürfe die Belastung nicht verharmlosen. Es sei ein Unterschied, ob man sich im Flugzeug einer Strahlung aussetze oder ob man belastete Nahrungsmittel direkt dem Verdauungstrakt zuführe. Sie selbst esse keine Eierschwammerln oder Maronenröhrlinge aus rot eingefärbten Gebieten, so die Pilz-Wissenschafterin.

Sie weist aber gleichzeitig auch auf Schwermetalle hin, die sich etwa in Champignons befinden können. Radioaktivität sei nicht die einzige Gefahr, warnt Greilhuber.

"Nicht allzu große Mengen"

Das Sozialministerium, das regelmäßig Messungen von Wildpilzen und Wildfleisch durchführt, empfiehlt auf seiner Website, Eierschwammerln aus höher belasteten Regionen in nicht allzu großen Mengen zu konsumieren.

Das sind verharmlosende Aussagen, findet Uhrig von Global 2000. Die klare Empfehlung müsse lauten, Eierschwammerln aus diesen Regionen gar nicht zu essen.

Relativierend meldete sich die Geologische Bundesanstalt zu Wort. Man führe seit den 1980er-Jahren Untersuchungen mit Gammastrahlenspektrometern durch, mit denen Radioaktivität aus der Luft gemessen wird. Der Gehalt von Cäsium-137 sei zwar noch deutlich messbar, aber schon deutlich zurückgegangen. In jüngster Zeit habe man keine bedenklichen Werte festgestellt. Die natürliche Strahlung von Gesteinen sei oft um ein Vielfaches höher.

Kampf gegen Krško

Warum Global 2000 genau jetzt die Messungen durchgeführt hat? Auch um Aufmerksamkeit für den Kampf gegen das Atomkraftwerk in Krško in Slowenien zu erzeugen. Es liegt nur 71 Kilometer von der steirischen Grenze entfernt. Sollte dort ein Reaktorunfall passieren, wären die Auswirkungen auf Österreich um ein Vielfaches höher als bei Tschernobyl, warnt der Atomsprecher der Umwelt-NGO. Dann wären wohl nicht mehr nur die Eierschwammerln ungenießbar. (Rosa Winkler-Hermaden, 15.9.2021)