Siegfried Nagl sitzt seit 2003 im Grazer Bürgermeistersessel.

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Jetzt scheint es also so weit zu sein: Auf dem Grazer Hauptplatz wird eine weiße Plane auf dem Boden aufgespannt, darauf Sand geschaufelt und daneben eine Tribüne zusammengeschraubt. Da dürfte also eine Partei das große Wahlkampffinale vorbereiten. "Na", sagt der Mann mit der Schaufel in der Hand. "Des is irgendwos mit Kunst, da soll dann getanzt werden", schmunzelt der Schaufelmann. Wenn er eine Hand freigehabt hätte, hätte er wohl den Wischer vorm Gesicht gemacht. Er hat aber recht, da wurde letzte Woche gerade ein Setting für das Kunstfestival Steirischer Herbst aufgebaut.

Also wieder nichts mit Wahlkampfaktion. Seit Wochen ist von einem Wahlkampf für die Grazer Gemeinderatswahl am 26. September in der Stadt weit und breit nichts zu bemerken. Kein Thema, keine politische Auseinandersetzung, kein wirklicher Aufreger. Nagls Vision einer "Grazer U-Bahn" ist aus den Schlagzeilen verschwunden, ebenso seine Gondel an der Mur oder der Lift über den Hausberg Plabutsch.

Alarm nach Umfrage

Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) hat jetzt einen Brief geschrieben, persönlich an alle 192.000 wahlberechtigten Grazerinnen und Grazer. Darin bittet Nagl um die Stimme am Wahltag. Abgesehen von der interessanten Frage, die sich stellt, nämlich woher er die Adressen für die Parteiwerbung hat – seine Partei sagt, alles sei rechtlich gedeckt –, gibt er im Schreiben zu bedenken, dass die Stadt in diesen unruhigen Zeiten Verlässlichkeit, Stabilität und Erfahrung brauche. Also ihn, der seit mehr als 18 Jahren Bürgermeister dieser Stadt ist.

Seine Stadtparteigeschäftsführerin Anna Hopper hatte Tage zuvor in einem Schreiben an die türkisen Parteimitglieder und Sympathisanten nervös Alarm geschlagen: "Unsere aktuellen Umfragewerte lassen darauf schließen, dass sich eine dunkelrot-rot-grüne Koalition gegen die ÖVP nicht nur ausgeht, sondern immer wahrscheinlicher wird. Sowohl die kommunistische Spitzenkandidatin als auch die Kandidatin der Grünen haben schon gesagt, dass sie sich gegenseitig zum Bürgermeistersessel verhelfen würden. Für unsere Stadt würde das Verbote, Chaos und Instabilität bedeuten. Mitten in einer Gesundheits- und Wirtschaftskrise kostet uns das unsere innovative Vorreiterrolle als Stadt Graz."

Mit dem Alarm sollte natürlich jene ÖVP-Klientel, die glaubt, Nagl werde ohnehin wieder Bürgermeister, und sich einen Urnengang ersparen will, mobilisiert werden.

Koalitionsvarianten

Nagl will jedenfalls laut seinem Wahlkampfslogan "Alles geben für Graz", um weitere fünf Jahre regieren zu können. Das wird diesmal allerdings nicht einfach werden. Denn wenn die Umfragen, die bisher vorliegen, so einigermaßen den Realitätstest bestehen, braucht Nagl zum Regieren künftig zwei Partner. Eine Zweierkonstellation wie jetzt mit der FPÖ dürfte sich nicht mehr ausgehen.

Und da wird’s schwierig. Wobei Nagl aus dem Vollen schöpfen könnte. Ausgeschlossen hat er nur die zweitstärkste Partei, die KPÖ. Mit der werde er sicher nicht koalieren. Als Fixstarter für eine neue Koalition sieht sich FPÖ-Vizebürgermeister Mario Eustacchio.

Aber wer will als dritter Partner in eine neuerliche türkis-blaue Stadtregierung? Die Grünen eher nicht, wiewohl die Grünen-Partei alles daransetzt, in eine Koalition zu gehen. Spitzenkandidatin Judith Schwentner geht ja sogar mit dem Anspruch, Bürgermeisterin zu werden, in die Wahlen.

Der Einzige, der auch in eine Liaison mit Nagl und Eustacchio steigen würde, ist SPÖ-Klubchef Michael Ehmann. Die Roten sind 2017 wegen mangelnden Wählerzuspruchs aus dem Stadtsenat geflogen und fristen seither das Dasein einer kleinen Gemeinderatsfraktion. Ehmann hat aber nie in die Rolle eines Oppositionsführers gefunden, er sieht die Partei als verantwortungsvoll staatstragend und hat immer versucht, mit Nagl zu kooperieren. Dieser sah dies mit Wohlwollen, im ganzen Potpourri der Parteien wäre ihm die problemlose SPÖ am liebsten. Dazu müssen die Roten aber zuerst wieder in den Stadtsenat kommen. Das wird den Umfragen zufolge eine Zitterpartie. Die große Hoffnung Ehmanns: Weil diesmal so viele Parteien, gleich 14, antreten und natürlich rundum Stimmen einsammeln – aber ohne Chance in den Gemeinderat zu kommen –, werden die Mandate billiger. Es könnten weniger Stimmen ausreichen für einen Stadtratsposten.

FPÖ-Idee für die SPÖ

Wenn nicht, auch für diesen Fall hätte FPÖ-Chef Eustacchio einen Vorschlag, den er schon vor Monaten lanciert hatte: Sollte es Ehmann nicht schaffen, solle ihm Nagl einen "Stadtratsposten" überlassen. Dann wäre Türkis-Blau-Rot machbar.

Aber damit die SPÖ sich nicht in Sicherheit wiegt, hat Nagls ÖVP nun eben die rote Katze aus dem Sack geholt. Die KPÖ erinnerte in einer Aussendung, die ÖVP habe "auch vor den Gemeinderatswahlen 2012 und 2017 mit genau der gleichen Taktik die Endphase der Wahlkämpfe dominiert".

Die ÖVP erreichte 2017 37,8 Prozent, die KPÖ 20,3, die FPÖ 15,8, die Grünen 10,5, die SPÖ zehn und die Neos 3,9 Prozent. In den Umfragen verliert die ÖVP und kommt auf zwischen 32 und 36 Prozent, die KPÖ hält ihr Niveau oder klettert – laut ÖVP-Umfrage – sogar Richtung 25 Prozent. Die FPÖ verliert, SPÖ und Neos halten ihr Level, die Grünen legen einige Prozentpunkte zu. Alles laut Umfragen. Die unberechenbare Grazer Realität könnte allerdings wieder völlig anders aussehen.

In den Umfragen zum Ausgang der Graz-Wahl fällt Nagl zurück, allein die KPÖ könnte dazugewinnen. Nagl setzt darum auf Stabilität und Erfahrung. Das hat schon einmal funktioniert. (Walter Müller, 15.9.2021)