Einer, der einfach nur anders sein will: der genderfluide Mario (Thomas Prenn) in Evi Romens Neo-Heimatfilm "Hochwald".

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In der Turnhalle der Schule ist er ganz bei sich. Dort dreht Mario die Musik laut auf und tanzt mit wild rudernden Armen ausgelassen, ohne dass jemand daran Anstoß nehmen würde. Als unangepasst, rebellisch gar muss man den jungen Mann deshalb jedoch nicht bezeichnen. Er ist einfach anders als die meisten in seinem Dorf in den Südtiroler Bergen, in Hochwald. Die traditionellen Rollenmuster, die dort mitunter nur dem äußeren Anschein nach eingehalten werden, lehnt Mario nicht ab. Er findet sich nur darin nicht wieder.

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Hochwald, das Regiedebüt von Evi Romen, beginnt wie ein Jugenddrama, das sich in den Kulissen eines Heimatfilms eingenistet hat. Ihre von Thomas Prenn mit fragiler Intensität verkörperte Hauptfigur könnte auch einem Film des Ita lieners Luca Guadagnino (Call Me By Your Name) entstammen: Geschlechteridentitäten sind für Mario keine starren Gebilde, er lässt sich, eher intuitiv als ausdrücklich gewählt, auf ein fluides Spiel mit deren Attributen ein. Manchmal setzt er sich eine Lockenperücke auf, oder er lackiert sich die Fingernägel.

Ein enger Verbündeter

Wenn sich Mario mit einem Lippenstift das Auge umrandet, blickt er direkt in die Kamera, so als würde er im imaginären Publikum einen Komplizen suchen. Tatsächlich will Romens empathischer Blick vor allem auf eine Allianz mit dem Außenseiter hinaus. Im gleichaltrigen Lenz (Noah Saavidra) hat er einen Verbündeten, das Miteinander der beiden fängt der Film mit einer Ungezwungenheit ein, zu der auch die Andeutung von homosexuellem Begehren gehört. Aber Lenz ist schon weiter als der unsichere Mario: "In Wien sind alle schwul."

Hochwald feierte bereits letzten Herbst auf dem Filmfestival von Zürich seine Premiere, wo er auch einen Preis erhielt. Seitdem hat Romen, die im österreichischen Kino und TV vor allem als Cutterin und Drehbuchautorin (u. a. M – eine Stadt sucht einen Mörder gemeinsam mit David Schalko) tätig war, noch etliche andere Auszeichnungen, etwa auf der Diagonale, eingeheimst. Diese Anerkennung hat wohl auch in einer riskanten dramatischen Setzung ihren Grund, die die abgelegene Dorfgemeinde mit den Problemen einer globalen Gesellschaft kurzschließt – einem islamistischen Terrorakt, bei dem Lenz ermordet wird und Mario überlebt; wie durch ein Wunder, wie es der heimische Seilbahnwart, die Stimme des Volkes, einmal ausdrückt.

Im Fadenkreuz

Den Eindruck, dass dieser Bruch in der Erzählung den Film mit sich fortreißt, bekommt man nicht. Er verstärkt lediglich die Isolation Marios, da er durch seine Auffälligkeit nun umso mehr Anstoß bei den Dörflern erregt. Wäre doch er gestorben, nicht der Lenz! In einer raffiniert inszenierten Szene nimmt ihn ein Jäger ins Fadenkreuz, doch Mario spielt im Wald mit ihm Verstecken. Nicht jedes der Ausschließungsmanöver, das ihm gilt, wird jedoch so spielerisch umgesetzt, manchmal wirkt der Tonfall etwas gespreizt.

Romen setzt wiederholt auf musikalische Montagen – viele der verträumten Indiefolk-Nummern stammen von Florian Horwath –, um Hochwald vom Sozialdrama wegzubugsieren. Sie sucht eher poetische Verdichtungen von Gefühlszuständen, in denen sich die Differenzen zwischen den Figuren allerdings nicht auflösen: Wenn der in der Stadt unterhalb seines Dorfs gestrandete Mario ausgerechnet bei einer muslimischen Glaubensgruppe Obhut findet, hört man dazu Salvatore Adamo Inch’ Allah singen.

Beim Heimatfilm mündet am Ende alles in die Restauration der bestehenden Werte. Hochwald erzählt oft einfallsreich, manchmal auch ein wenig zu ausdrücklich davon, wie einer auf seine Unterschiede besteht – und zwar umso nachdrücklicher, je mehr Widerstand ihm entgegenschlägt. (Dominik Kamalzadeh, 16.9.2021)