Epilepsie-Betroffene, die mindestens 30 Sekunden lang KV 448 hörten, zeigten reduzierte Erregungszustände im Gehirn – was bei dieser Krankheit von Vorteil ist.
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Macht das Hören klassischer Musik klüger? Diese Frage wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Eine 1993 veröffentlichte Forschungsarbeit fand anhand von 36 Probanden Hinweise darauf, dass das Anhören der Sonate in D-Dur für zwei Klaviere (KV 448) von Wolfgang Amadeus Mozart für eine bessere visuell-räumliche Verarbeitung und einen diesbezüglichen IQ-Anstieg sorgt. In anderen Studien beobachtete man ein schnelleres Weiterkommen von Ratten in Labyrinthen.

Dem standen allerdings auch Studien gegenüber, die den "Mozart-Effekt" nicht reproduzieren konnten. Solche "negativen" Resultate, bei denen kein signifikantes Ergebnis herauskommt, werden traditionell jedoch seltener veröffentlicht – ein Phänomen, das unter dem Begriff der Publikationsverzerrung bzw. des Publikationsbias bekannt ist. An der "Entzauberung" des musikalischen Mythos beteiligten sich auch Psychologen der Universität Wien: Das Team um Jakob Pietschnig konnte vor rund zehn Jahren in einer großen Meta-Analyse mit dem Titel "Mozart effect – Shmozart effect" keine spezifische kognitive Leistungssteigerung nach dem Hören von Mozart-Kompositionen feststellten.

Angeregte Stimmung

Andere Forschende vermuten, dass es statt eines spezifischen Effekts ganz allgemein bestimmte musikalische Werke sind, die Menschen in positive, angeregte Stimmung versetzen können – und diese gute Stimmung hätte wiederum diverse Vorteile. Dazu gehört eine etwas bessere kognitive Leistungsfähigkeit, aber auch Kreativität.

Macht dieses Musikstück klüger? Forschende sind skeptisch. Womöglich hilft es aber bei Epilepsie.
Franziska Leicht

Eine aktuelle Forschungsarbeit, die im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht wurde, untersuchte nun die Wirkung der in der Ursprungsstudie verwendeten Sonate auf Epilepsie-Patientinnen und -Patienten, die nicht auf Epilepsiemedikamente ansprechen. Bei einem epileptischen Anfall geben Nervenzellen zu viele Signale gleichzeitig ab, was Wahrnehmungs- und Bewegungsstörungen verursacht. Zu solchen Anfällen kommt es bei Betroffenen immer wieder, wenn sich die Neuronen unkoordiniert entladen.

Frühere Arbeiten hatten für das Musikstück bereits eine Reduktion der Hirnaktivität bei von Epilepsie Betroffenen postuliert. Robert Quon von der Geisel School of Medicine in Dartmouth (USA) und sein Team beobachteten nun bei 16 Untersuchungspersonen ebenfalls per EEG (Elektroenzephalografie), was beim Hören von Sonatenfragmenten im Gehirn passiert und welche Rolle die Dauer des Musikhörens spielt. Ihre musikalischen Schnipsel waren 15 bis 90 Sekunden lang.

Therapeutisches Potenzial

Ein Effekt wurde aber erst ab 30 Sekunden beobachtet: Im Durchschnitt reduzierte sich die Anzahl der spezifischen Ausschläge in der Hirnstromableitung um 66,5 Prozent. Das bedeutet, dass die für die Krankheit typischen Erregungszustände im Gehirn abnehmen und dies die Symptome lindern könnte. Bei anderen, weniger melodischen Musikstücken – wie dem Beginn von Richard Wagners Vorspiel zum ersten Akt der Oper "Lohengrin" – gab es hingegen keinen signifikanten Effekt.

Am stärksten waren die Auswirkungen in einer Hirnregion, die emotionale Reaktionen reguliert: im rechten und linken präfrontalen Kortex. Das Forschungsteam leitet aus der Studie ab, dass die Dauer des Musikhörens eine Rolle spielt und der Effekt mit der Vermittlung positiver Gefühle zusammenhängt. Ganz auf das Mozart'sche Musikstück versteifen wollen sich die Forschenden aber nicht: Sie schreiben, dass auch andere Musikstücke mit ähnlicher Struktur therapeutisches Potenzial haben könnten und diesbezüglich analysiert werden sollten. (red, 16.9.2021)