Dostojewski ist als Autor und Epileptiker der Inszenierung eingeschrieben: Dichter (Uwe Schmieder) und Fürst (Andreas Beck).

Nikolaus Ostermann

Covid hinterlässt seine Spuren: Nach dem Burgtheater war nun auch das Volkstheater am Mittwoch mit einer höchst schütter besetzten Premiere konfrontiert. Grob geschätzt, blieb ein Drittel der Plätze frei – das ist nicht normal. Die Zurückhaltung des Publikums geht wohl auch auf das Konto des Theaterneustarts, den das Volkstheater nach Pandemieverzögerungen ja immer noch bestreitet. Das Ensemble hatte bisher kaum Gelegenheit, sich zu zeigen.

Neu war auch der Berliner Regisseur Sascha Hawemann, der mit einer Bühnenbearbeitung von Dostojewskis Erniedrigte und Beleidigte sein Regiedebüt in Österreich gab (zwei Stunden, 40 Minuten ohne Pause) und einen mechanisch-pathetischen Abend hinterließ.

Dostojewski, der Epileptiker

Bedeutungsschwer werden Bühnenelemente und Dostojeweski-Sätze manövriert, ohne dass jedoch hinter dem aufwendigen Getriebe etwas zum Vorschein käme. Zwei als riesige Leutkörper geformte russische Buchstaben (der Anfang von "ich lebe") werden an die Rampe gefahren und leuchten ins Parkett. Ein Krankenbett und drum herum eine dreiseitige weiße Plane aus dem Schnürboden deuten an, dass diese Gesellschaft krankt – oder Dostojewski Epileptiker war. Krampfhafte Anfälle befallen sein Alter Ego Iwan Petrowitsch immer wieder.

Dostojewskis Großstadtroman verschränkt skrupellose Liebesinstrumentalisierung mit familiären Abhängigkeiten und versammelt ein Dutzend unglücklicher Geschöpfe, die ihre Träume gegen vorherrschende Hierarchien und Nichtliebe einfach nicht durchsetzen können.

Winterwind

Hawemann möchte die Geschichte stringent erzählen, scheut sich aber doch davor und teilt zumindest die Figur des Dichters Petrowitsch (der auktoriale Erzähler des Romans) auf mehrere Schauspieler auf. "Ich bin jetzt der Vater!" ruft Uwe Schmieder gleich am Anfang für alle, die es nicht gleich verstanden haben.Schmieder spielt zu allererst aber den vom Fürsten übers Ohr gehauenen Gutsverwalter und Vater von Natascha (ernst: Friederike Tiefenbacher), die in den Sohn des Fürsten verliebt ist, ihrerseits aber vom Dichter Petrowitsch ergebnislos verehrt wird. Fürstensohn Aljoscha (Frank Genser) seinerseits kann sich zwischen Natascha und der reichen Katja (Evi Kehrstephan), die aber ihr Geld umverteilen will, nicht entscheiden und hoppelt dabei wie ein Wackeldackel herum. Der Fürst (Andreas Beck) lässt sich vom russischen Winterwind hereinwehen und attestiert den Gutmenschenkindern Heuchelei.

Kammer aus Ikonen

Auch Klimakrise und Veganismus kommen in Jens Roselts Fassung ins Spiel – eine Andeutung von Aktualität. Und es geht in diesem ringsum einfach viel zu jammrigen und überaus pathetischen, viel zu dick aufgetragenen Tonfall auf gut Altrussisch weiter: Natascha verbarrikadiert sich nach Aljoschas Abfuhr in einer Kammer aus Ikonen (Bühne: Wolf Gutjahr), Nelly (Lavinia Nowak) stirbt den Armutstod, und der Dichter leidet weiterhin an seiner schwerfälligen Schreibsucht.

Die Schwarz-Weiß-Ästhetik des Abends und seine Versatzstücke erinnern deutlich an Sebastian Hartmanns Dresdner Inszenierung von 2019. Abgegriffen darf man auch die Schlussszene mit David Bowies Space Oddity nennen: "Ground Control to Major Tom." Ein oberflächlicher Abend.(Margarete Affenzeller, 16.9.2021)