Mehr als 100.000 Menschen protestierten am Mittwoch.

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Nach eineinhalb Jahren reiste Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez wieder nach Barcelona, um dort mit Pere Aragonès über das leidige Thema Katalonien zu sprechen. "Wir sind völlig unterschiedlicher Meinung", konstatierte der Chef der spanischen Linksregierung im Anschluss an das zweistündige Treffen am Mittwochnachmittag im Palast der katalanischen Autonomieregierung "Generalitat". Doch seien sich beide Seiten einig, "ohne Eile, ohne Unterbrechung und ohne Zeitlimit" nach einer Dialoglösung für den Konflikt um die nordostspanische Region suchen zu wollen.

"Uns interessieren mehr die Ergebnisse als Fristen", erklärte auch Aragonès. Er regiert mit einer Koalition der beiden großen Unabhängigkeitsparteien: seiner Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) und "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) des im belgischen Exil lebenden einstigen katalanischen Regierungschefs Carles Puigdemont. Aragonès verlangte einmal mehr eine Amnestie für alle, die wegen der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums im Oktober 2017 juristisch verfolgt werden. Außerdem will er eine Abstimmung über die Loslösung oder den Verbleib bei Spanien in beiderseitigem Einvernehmen, ganz nach schottischem Vorbild.

Unbekannter Fahrplan

Sánchez lehnte beides einmal mehr ab. Eine Gruppe von Ministern beider Regierungen handelte im Anschluss einen "Fahrplan" für die kommenden Monate aus. Dieser wurde nicht bekanntgegeben.

Zum letzten Mal wurde im Februar 2020 gesprochen. Damals traf sich Sánchez mit dem Vorgänger von Aragonès, Quim Torra von JxCat. Dieser wurde einige Monate später vom Gericht seines Amtes enthoben. Im Wahlkampf hatte er ein Transparent an seinem Amtssitz anbringen lassen, das zur Solidarität mit den mittlerweile von Sánchez begnadigten Unabhängigkeitspolitikern und -aktivisten aufrief.

Am Unabhängigkeitsreferendum 2017 hatten mehr als zwei Millionen Menschen – 43 Prozent der Wahlberechtigten – teilgenommen. Über 90 Prozent stimmten für die Loslösung von Spanien. Erst am vergangenen Wochenende waren in Barcelona erneut mehr als 100.000 Menschen für ein unabhängiges Katalonien auf die Straße gegangen.

Aragonès war geschwächt in das Gespräch mit Sánchez gegangen. JxCat hatte die Delegation verlassen, nachdem Aragonès sich geweigert hatte, JxCat-Mitglieder aufzunehmen, die nicht als Minister seiner Regierung angehören.

Zerstörungsvorwürfe

Auch Sánchez steht unter Druck. In seiner Partei sehen längst nicht alle die Gespräche mit Wohlwollen. Und die rechte Opposition wirft ihm gar vor, "Spanien zu zerstören". "Es ist eine Illoyalität gegenüber der Nation, eine Demütigung für alle gutgläubigen Spanier", sagte etwa Isabel Díaz Ayuso, Chefin der Hauptstadtregion Madrid und eine der populärsten Politikerinnen des konservativen Partido Popular (PP). Die rechtsextreme VOX, drittstärkste Kraft im spanischen Parlament, spricht gar von "Hochverrat".

Auch wenn beide Seiten betonen, sie wollten keine Fristen setzen, ist dies mehr als illusorisch. Denn Sánchez muss sich spätestens in zwei Jahren erneut den Wählern stellen. Er kann sich weder ein Scheitern der Gespräche noch zu große Zugeständnisse an die Katalanen leisten. Und Aragonès hat der kleinen linken Unabhängigkeitspartei CUP, die ihm mit ihren Stimmen im Autonomieparlament zur Mehrheit verhilft, versprochen, spätestens in zwei Jahren Ergebnisse vorzulegen. Er will dann die Vertrauensfrage stellen.

Die Sprecherin der Fraktion von JxCat im spanischen Parlament, Miriam Nogueras, ist alles andere als optimistisch: "Der Dialog wird scheitern, wir werden eine auf Konfrontation ausgerichtete Strategie entwickeln." Ihr Kollege bei der ERC-Fraktion in Madrid, Gabriel Rufián, warnt: "Wenn der Dialog scheitert, werden VOX und PP in den Regierungspalast Moncloa einziehen." (Reiner Wandler aus Madrid, 16.9.2021)