Beschwörung eines Ausnahmezustands: "Je suis Karl".

Foto: Filmladen Filmverleih

Deutschland wurde, anders als Frankreich oder Belgien, lange von einem größeren Terroranschlag verschont. Umso stärker wirkt also die Explosion, mit der Je suis Karl von Christian Schwochow beginnt. Eine heile Bobo-Welt liegt plötzlich in Trümmern, und von einer glücklichen Familie sind nur noch zwei traumatisierte Menschen übrig: Maxi Baier (Luna Wedler) und ihr Vater Alex (Milan Peschel). Sie hätten nun allen Grund, einander beizustehen, aber Maxi geht lieber eigene Wege.

Und auf diesen Wegen trifft sie bald einen jungen Mann namens Karl, der mit der Explosion mehr zu tun hat, als es die meisten Drehbuchdoktoren durchgehen lassen würden. Der Anschlag gehört nämlich nicht in den Kontext von Jihad oder Kalifat, wie wir anfangs glauben sollen. Er kam von einer anderen Seite. Von der Seite, vor der Je suis Karl warnen möchte. Der Titel weist ohnehin gleich die Richtung: "Je suis Charlie" wurde 2015 zu einer Parole der Solidarität in einer liberalen Gesellschaft, die sich Religionskritik und beißenden Spott nicht verbieten lassen will.

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Je suis Karl hingegen funktioniert schon als Parole nicht besonders gut, denn die Eindeutschung holpert doch beträchtlich. Und auch als subversiven Akt wird man die Antwort auf das französisch-europäische Zusammenstehen für freiheitliche Werte nicht gut sehen können. Dazu tragen Schwochow und der Drehbuchautor Thomas Wendrich einfach zu dick auf.

Guru einer neuen Rechten

Karl (Jannis Niewöhner) erweist sich nämlich als Guru einer neuen Rechten, die sich nicht mehr mit dem rückwärtsgewandten Denken von Neonazis abgibt, sondern in Kongresshallen und mit moderner Medienarbeit auf einen europäischen Faschismus zielt. Je suis Karl arbeitet dabei überdeutlich mit Ambivalenzbildern: Heutige Jugendkulturen, die aus verschiedenen Gründen mit der modernen Welt hadern, werden von der Bewegung ReGeneration gleichsam abgeholt.

Maxi Baier ist dabei die passende Identifikationsfigur. Eine sensible junge Frau, die es nur gut meint, fällt unter den Bann eines Verführers. Und ihrem Vater fällt die undankbare Aufgabe zu, ihr die Augen zu öffnen.

Je suis Karl startet in Deutschland und Österreich in den Kinos, in Amerika gleich auf Netflix. Das amerikanische Bild von Europa wird er hoffentlich nicht prägen, denn Schwochow macht billigstes Angeberkino, er schneidet auf mit allem, was Bild und Ton und ein plakatives Drehbuch hergeben. Bisher kannte man ihn eher als einen gediegenen Textverarbeiter (Deutschstunde), der es auf diesem Weg sogar zu zwei Folgen Regie bei der grandiosen Serie The Crown geschafft hat.

Mit Je suis Karl macht Schwochow nun dort weiter, wo er schon bei der auch nicht gerade nuancierten Serie Bad Banks war: bei der Beschwörung eines Bürgerkriegs oder Ausnahmezustands aus der Perspektive von vermeintlichen Medienprofis, denen die Demokratie schlicht zu wenig reißerisch ist. (Bert Rebhandl, 17.9.2021)