Michael Schumacher lässt sich 2001 in Monaco feiern. Nur einer von 91 Siegen. Allein im Fürstentum hat der siebenfache Weltmeister fünfmal triumphiert.

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Zwischendurch wird richtig Gas gegeben. Vier Weltmeistertitel zwischen 2001 und 2004 werden in wenigen Szenen abgehandelt. Die eben auf Netflix erschienene Dokumentation Schumacher verfranzt sich nicht in Details. Es geht um Wichtigeres, es geht um den Menschen. Wer ist dieser Michael Schumacher? Oder wer war dieser Michael Schumacher? Auch die im Film auftretenden Gesprächspartner nutzen abwechselnd Gegenwart und Vergangenheit. Es ist und bleibt eine üble Laune des Schicksals, dass einer, der jahrzehntelang unbeschadet durch den Motorsport kam, durch einen Skiunfall im Dezember 2013 zum Pflegefall wurde. "Michael fehlt mir jeden Tag. Er ist da, aber anders", sagt seine Ehefrau Corinna. Mehr muss man über den Gesundheitszustand des Champions nicht wissen, mehr gibt Schumacher nicht preis.

Big Boss Bernie Ecclestone hatte sich immer einen schnellen Deutschen in der Formel 1 gewünscht. Retrospektiv kaum zu glauben, aber die Automobilnation brachte über Jahrzehnte hinweg keinen konkurrenzfähigen Piloten an den Start. Die zwei talentiertesten Piloten, Wolfgang Graf Berghe von Trips und Stefan Bellof, starben noch vor den Erfolgen auf der Rennstrecke. Aber 1991 stand der schnelle Deutsche plötzlich in der Boxengasse von Spa-Francorchamps. Der Youngster in der Raulederjacke hatte kein Geld mitgebracht – aber schnelle Rundenzeiten und Selbstvertrauen. Ein Selbstvertrauen, das ihm oft als Arroganz ausgelegt wurde. Dabei, so berichten seine Weggefährten einstimmig, sei er eigentlich schüchtern und reserviert gewesen.

Netflix

Nein, für das Leben als Star war Michael Schumacher nicht gemacht. Vor den Kameras, vor der Weltpresse hat er sich nie zu Hause gefühlt. Sein Zuhause war die Rennstrecke. Und dort ist er nicht den leichtesten Weg gegangen. Schumacher hat sich Zeit seiner Karriere nie in den schnellsten Boliden gesetzt. Er empfand unterlegenes Material als Herausforderung, Schumacher wollte sich seine Siege erarbeiten. Das hat er im Kartsport aus Geldmangel gelernt und sich in der Formel 1 so beibehalten. Der mittlerweile 52-Jährige konnte Teams zu Höchstleistungen anspornen, er konnte alle hinter sich versammeln – den Ingenieur, den Mechaniker, die Küchenhilfe. Wer Ferrari in die Erfolgsspur bringen will, braucht mehr als nur Fahrgefühl.

Unterlegenes Material

Die Leserschaft hat doch bestimmt Rush gesehen. "Ihr habt alle Möglichkeiten, und dann baut ihr so eine Schrottkiste", sagt der von Daniel Brühl famos dargestellte Niki Lauda zu einem verdutzten Ferrari-Ingenieur. Schumacher müssen ähnliche Gedanken durch den Kopf gegangen sein, als er 1996 Benetton-Renault als Weltmeister Richtung Maranello verließ. Der von John Barnard entworfene Ferrari F310 war kein großer Wurf, Schumachers Teamkollege Eddie Irvine spricht von einer "Katastrophe". Mit dieser Fehlkonstruktion sei es im Grunde unmöglich gewesen, Rennen zu gewinnen. Schumacher gewann trotzdem, nicht den Titel, aber immerhin drei Rennen. Irvine zieht noch heute den Hut.

Schumacher zeichnet den Weg von den Anfängen bei Ferrari bis zum ersten Titel für die Scuderia im Jahr 2000 nach. "Der Beginn der Saison 2000 lief lange nicht so, wie wir wollten", sagt der ehemalige Teamchef Jean Todt. Da hat’s was. Entweder spielt die Erinnerung Todt einen Streich oder die Sätze sind ungünstig zusammengeschnitten. Jedenfalls hatte Schumacher die ersten drei Grand Prix gewonnen und lag bis zum zwölften Rennen immer voran. Noch eine Ungenauigkeit gefällig? Todt: "Wir hatten 97, 98 und 99 das letzte Rennen verloren, also warum nicht auch 2000?" Die Antwort könnte einfacher nicht sein: weil Schumacher die Weltmeisterschaft schon vor dem letzten Rennen in Malaysia für sich entschieden hatte. Die Krönung folgt im Abspann: Aufnahmen aus Monaco sollen die Fahrkünste von Schumacher dokumentieren, zeigen aber Gerhard Berger. Egal, Nebensache, es geht ja in erster Linie um den Menschen.

Und dieser Mensch, diese Rennmaschine hat auf der Strecke Fehler gemacht. Es ehrt die Dokumentation, dass diese Schwächen nicht unterspielt wurden. Schumacher hat im Fight um die Weltmeisterschaft 1997 mit Absicht den Boliden von Jacques Villeneuve gerammt. Diese Szene lässt Lewis Hamilton und Max Verstappen wie zwei Waisenknaben aussehen. Schumacher wurde aus der WM-Wertung gestrichen. Eine drakonische Strafe, der Tiefpunkt in Schumachers Karriere, zumal sich der Verursacher nicht in der Schuld sah. Sein ehemaliger Manager Willi Weber hat für dieses Verhalten eine einfache Erklärung: "Ein Steinbock entschuldigt sich nicht."

Ständige Begleiterin: Corinna Schumacher. Auch sie kommt auf Netflix zu Wort: "Ich hätte nicht gedacht, dass ihm etwas passieren könnte."
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Immer wieder wurde Schumacher vorgehalten, er habe nach dem tödlichen Unfall von Ayrton Senna in Imola 1994 kalt reagiert, er habe auf dem Podium gelächelt. Auch damit beschäftigt sich Schumacher. Einerseits sei die Nachrichtenlage unklar gewesen, andererseits sei der Sieger selbst unter Schock gestanden. Das ist glaubwürdig, das ist nachvollziehbar. Wie auch immer, Sennas Tod hat Schumacher den Weg zur ersten Weltmeisterschaft geebnet. Und womöglich kam diese unverhoffte Chance für den Deutschen zu früh. Benetton-Ford und Schumacher arbeiteten mit allen Tricks, sie scherten sich nicht um Reputation. Am Ende gelang es gerade noch, Damon Hill in Schach zu halten. In anderen Worten: Ayrton Senna hätte diese Weltmeisterschaft mit verbundenen Augen gewonnen.

Unnahbarer Rennfahrer

Was bleibt von Schumacher? Das Bild eines unnahbaren Rennfahrers, der sich nur am Circuit und im Kreise seiner Familie wohlfühlen konnte. Es sind die Aufnahmen von der Kartbahn in Kerpen und von einem Urlaub in Norwegen, die bleibenden Eindruck hinterlassen. Man wird sich merken, dass Schumacher den verhängnisvollen Skiurlaub in Frankreich beinahe abgebrochen hätte, weil der Schnee "nicht optimal gewesen" sei. Und letztlich bleibt zu befürchten, dass es keine besseren Nachrichten über den Zustand des Champions mehr geben wird. Corinna Schumacher: "Michael hat uns immer beschützt, jetzt beschützen wir ihn." (Philip Bauer, 17.9.2021)