Delta, so heißt ein portugiesischer Kaffee – neuerdings auch eine Corona-Variante.

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"Delta", verheißt die gelbe Schrift im roten Dreieck. Delta ist allgegenwärtig und eine der beliebtesten Marken Portugals. Für Kaffee. Der kleine Schwarze, gern im Stehen getrunken, gehört zum portugiesischen Lebensstil. Verschiedene Röstungen werden in hübschen Verpackungen im Supermarkt verkauft, jede Sorte durch einen Frauenkopf in Landestracht symbolisiert: Brasilien, mit weißer Haube aus Spitze, bunten Holzperlen, Teint braun wie Milchkaffee, Intensität 6. Timor, mit gewebter Kopfbedeckung, rosa geschminkten Lippen und betonter Lidfalte, Intensität 7. Angola, mit goldenem Halsschmuck und dunkler Hautfarbe, Intensität 9.

Der Stolz auf die ehemaligen Kolonien lebt in solchen Spuren unbestritten fort. Ein halbes Jahrtausend lang profitierte Portugal damit von geografisch weit entfernten Ressourcen. Sklaven halfen im Mutterland in der Landwirtschaft und an der Errichtung von Prunkbauten für die Herrschenden.

Ohne Sklaven gäbe es die Bewässerungskanäle auf Madeira nicht, die heute Touristen als Wanderwege dienen. Der Vergleich von Frauen mit dunklem Teint und Kaffee ist seit damals erotisch aufgeladen. Portugiesische Kolonisatoren sahen es als ihr Recht, die Körper der lokalen Sklavinnen zu benutzen, um Nachwuchs zu zeugen.

Ein Armenhaus

Portugal ist kein kleines Land, hieß es bis zur Revolution von 1974 in den Schulbüchern. Von Europa aus gesehen, wirkte der schmale, zum Meer gewandte Landstreifen am Ende des Kontinents bedeutungslos. Ein Armenhaus.

Neben den mäandernden Erinnerungsströmen des Autors António Lobo Antunes, der als Arzt im portugiesischen Angola gearbeitet hatte, nimmt in letzter Zeit auch eine jüngere Generation das Thema der Kolonien und des Zusammenbruchs des Großreichs in den Fokus.

So unter anderem Isabel Figueiredo, die in ihren Kindheitserinnerungen aus Mosambik – Roter Staub – den alltäglichen Rassismus anprangert. Schwarze wurden als Tiere bezeichnet, die dressiert werden mussten, um irgendwas im Leben zu erreichen, schreibt sie.

Schwarze Frauen mussten weißen Männern sexuell zur Verfügung stehen, ohne Recht, sich dagegen zu wehren. Die weißen Frauen verdeckten ihre Demütigung durch die untreuen Ehemänner, indem sie schwarze Frauen verachteten. Bis zum Schluss bedeutete eine koloniale Existenz für verarmte Portugiesen die Möglichkeit, sich unter privilegierten Bedingungen eine bessere Lebensgrundlage zu schaffen.

Scheitern des kolonialen Abenteuers

Dulce Maria Cardoso war elf, als sie mit der Familie Angola verlassen musste. In Die Rückkehr erzählt sie von sogenannten "retornados", die in Portugal nicht erwünscht waren, mit deren Unterbringung und Versorgung das Land nicht zurechtkam. Niemand wollte etwas von ihnen wissen, denn sie waren Zeugen des gescheiterten kolonialen Abenteuers.

Viele zogen weiter und schufen sich wie unzählige ihrer Landsleute zuvor als Gastarbeiter neue Existenzen in Frankreich und Deutschland. In den Deutschlehrbüchern, die wir auf der Universität verwendeten, war auch das Foto eines portugiesischen Gastarbeiters abgedruckt, mit dessen Ankunft eine Million erreicht war und der dafür von der deutschen Regierung ein Moped geschenkt bekam.

Mit dem Eintritt in die EU verbesserte sich Portugals Lage. Es ging zuerst aufwärts, dann wieder abwärts, vom prosperierenden, sich modernisierenden Land, in ein wirtschaftliches Tief im Zuge der Finanzkrise, aus dem sich das Land mittels seiner steigenden Touristenzahlen herausarbeitete.

Transportable Symbole

Das nun bekannte Pastel de Nata, ein Törtchen unter vielen, wurde zum Markenzeichen. Man besann sich verwertbarer Produkte: bemalte Kacheln, die gelbe Straßenbahn Nr. 28, Pessoa, alte Marken im Retrodesign, Sardinen in Dosen in verschiedenen Marinaden und Jahrgängen, extra für Touristen und den Export abgefüllt. Portugal wurde transportabel.

Frühere Symbole, wie der Bacalhau und der Hahn verloren an Bedeutung. Das Zentrum Lissabons wurde für die Bedürfnisse ausländischer Besucher attraktiv gestaltet, Tische auf Straßen, Gehsteige und Plätze gestellt. Alles, was das Urlauberherz begehrte, wurde aufgeboten. Dann kam Delta. Die vierte Mutation.

Als ich im Juni nach Portugal reise, steigen die Infektionszahlen gerade. Der Raum Lissabon wird wochenends abgeriegelt. Es gibt Ausgangssperren. Der erste Kiosk am Flughafen, den ich ansteuere, ist verglast. Die einzige Verbindung zwischen draußen und drinnen ein Schlitz, durch den Essen gereicht wird. Vorne ein Automat, den man mit Münzen und Scheinen füttert, um zu zahlen.

Ihre Hautfarbe: dunkel

Die Stadt macht einen erschöpften Eindruck. Im Hotel sind von 220 Räumen nur 20 belegt. Das Frühstück wird in Tüten an den Tisch gestellt. Alles verpackt. Der Tourismus als Rettungsanker, mithilfe dessen sich das Land aus der Misere gerettet hat, leidet. Mich aber packt eine Erinnerung.

Als ich durch eine Seitenstraße spaziere, erschnuppere ich einen für Lissabon typischen Geruch, und versuche herauszukriegen, was es ist. Spülwasser mit Reinigungsmittel, lautet die Antwort. Dann sehe ich eine Frau im Arbeitskittel die Glasscheiben eines Haustors wischen. Ich lächle sie an.

Ob ich nun eine Bibliothek aufsuche oder ein Museum, geputzt wird überall. Das fällt mir deshalb auf, weil sich zurzeit kaum andere Menschen hier aufhalten. Die Putzfrauen tragen hüftlange blaue Nylonarbeitsmäntel. Ihre Hautfarbe: dunkel.

Jahrzehntelange Diktatur

Im altehrwürdigen Buchladen am Chiado streife ich durch die Räume, werde von jeder einzelnen Verkäuferin angesprochen, denn sonst gibt es keine Kundinnen. Ich überfliege Neuerscheinungen. Mehrere Biografien des Diktators Salazar. Aufarbeitung oder Nostalgie? Als ich am Wochenende Zeitungen kaufe, verfolge ich aktuelle Diskussionen.

Wie soll das in zwei Jahren anstehende 50-Jahre-Jubiläum der Revolution gefeiert werden? Wie soll die jahrzehntelange Diktatur im Nachhinein bewertet werden? Muss man Salazar verdammen, oder soll man ihn feiern? Vor allem wird um die Zahl der Todesopfer aufgrund politischer Verfolgung gestritten und darüber, ob die lange Regierungszeit Salazars dem Land schadete oder nicht.

Die Konservativen betonen, dass er den desolaten Staat nach der Ersten Republik wieder in Ordnung gebracht habe. Der Historiker Tom Gallagher konzentriert sich in seiner Biografie auf den Menschen Salazar, preist darin dessen Bescheidenheit jenseits der Selbstinszenierungen anderer Diktatoren.

Neutralität während des Zweiten Weltkrieges

Salazar wird zugutegehalten, dass er Portugal während des Zweiten Weltkrieges zum neutralen Land erklärte. Dass er es nicht geschafft hat, die Kolonien ertragreich und ohne Konflikte zu verwalten, wird ihm angekreidet. Konservative Kräfte, zurzeit in der Opposition, sind daran interessiert, die Diktatur als harmlos darzustellen und damit die Bedeutung der Revolution von 1974 und der Machtübernahme durch die Linke zu verringern.

Diese wiederum besteht auf dem Bild einer rücksichtslosen Herrschaft. Es gab eine berüchtigte Geheimpolizei, lange Gefängnisstrafen für Regimegegner, Zensur, Armut, Verwahrlosung, Analphabetismus, Kinderarbeit, schlechte medizinische Versorgung.

Vieles über diese dunkle Zeit lässt sich in den Tagebüchern des damaligen Leiters des Goethe-Instituts, Curt Meyer-Clason, nachlesen. Entlang der Bahnlinie von Lissabon nach Cascais ist heute noch die Festung von Caxias zu sehen, das Gefängnis der Geheimpolizei: Folterkammern wurden nach der Öffnung dort gefunden.

Vor der Vernehmung mussten Gefangene oft stundenlang in einem Keller in hüfthohem Wasser stehen, um sie zu zermürben, schreibt Meyer-Clason. Wäre das Militär nicht müde gewesen vom sinnlosen Töten in den Kolonien, die ökonomisch nie tragfähig waren, hätte es mit der Revolution nicht geklappt.

Denkmal für den Vermittler

Auf dem Largo do Carmo, oberhalb des berühmten Cafés A Brasileira (sic!) führte ein Vertreter des Militärs, Salgueiro Maia, mit seinem Megafon auf dem Panzerwagen sitzend die Verhandlungen mit dem Nachfolger des Diktators. Dem Vermittler wurde in seinem Heimatort ein Denkmal gesetzt.

Dort befindet sich auch jenes Megafon, durch das er sich und veränderungswilligen Portugiesen damals das Wort erteilte. Diese Ideale, die zu Freiheit und Demokratie geführt haben, müssen sich auch in der jüngeren Generation verfestigen, lese ich in der Tourismusbroschüre, die der Wochenendzeitung beigelegt ist. Mal schauen, wie die Feierlichkeiten zur Revolution tatsächlich gestaltet werden. Noch sind es zwei Jahre bis dorthin.

Ende Juni erklärt Deutschland Portugal zum Risikogebiet. Die wenigen Deutschen reisen rasch ab, um einer Quarantäne nach ihrer Rückkehr zu entgehen. In Lissabon sind an vielen öffentlichen Plätzen rollende Testbusse geparkt, lange Warteschlangen davor. Im Biergarten daneben mit jungen Leuten vollbesetzte Tische. Zur Sperrstunde um 23 Uhr ist alles still, Gärten und Straßen sind geleert, Polizeiautos patrouillieren.

Das Licht strahlender als anderswo

Der nächste Tag zeigt sich windig und neblig. Es nieselt. An der Promenade in Estoril finde ich das Meer wieder, das ich mag. Nicht die schönwetterglatte blaue Fläche, sondern unbändige Atlantikwellen. Nur wenige Spaziergänger sind unterwegs. Viele mit Masken.

Dort, wo stets die Gischt gegen die Kaimauer hochspritzt, wurde ein Gitter angebracht. Früher ging es hier zehn Meter in den Abgrund. Hier in Portugal habe ich die ersten Berufsjahre nach Abschluss meines Studiums verbracht.

Damals waren die verschiedenen Entwicklungsstufen nebeneinander sichtbar. Reste feudaler Systeme: das postmoderne Einkaufszentrum, in dem sich schwarzgekleidete Frauen nicht auf die Rolltreppe trauten; eine Roma-Familie mit Zelt, Lagerfeuer und Pferd auf dem modernen Universitätscampus; neben dem schicken Hochhaus ein Areal mit Unterkünften aus Blech und Karton für die Ärmsten; auf jeder noch so kleine Brache Kohlpflanzen.

Später bedeuteten Aufenthalte in Lissabon ein Refugium während langer dunkler Winter. Das Licht strahlender als irgendwo sonst. Das Licht ist immer noch großartig, die Stadt hat sich verändert.

Rückkehrer

Vor zwei Jahren nervten schon die Sauftouristen, die nachmittags am Strand Tequila trinkende Jugendlichen, Coffeeshops anstatt Pastelarias, die Besetzung der Altstadt durch Airbnb. Inzwischen halte ich mich lieber auf dem Land auf, weg vom Meer, auf das Portugal aus Urlauberperspektive meist reduziert wird. Delta gibt mir ein mulmiges Gefühl, und ich beschließe früher abzureisen.

Nelson Cheung heiße der Fahrer zum Flughafen, werde per SMS informiert. Sein Name macht mich neugierig. Unten treffe ich auf einen eleganten Chauffeur in dunklem Anzug, Slippers, mit goldgerahmter Brille, der meine Koffer im schwarzen Mercedes verstaut. Wir sprechen übers Geschäft und zwangsläufig über Delta.

Ein Militär, in Mosambik geboren, leitet nun die Koordination der portugiesischen Maßnahmen gegen Covid. Bei öffentlichen Auftritten trägt er stets seine Kampfuniform. Denn das ist ein Krieg, behauptet er. Nelson gefällt das. Aber Portugal hat den Krieg in Mozambique verloren, kontere ich. Nelson muss lachen. Ich bin auch dort geboren, sagt er.

Lourenco Marques? Genau. Obwohl, die Hauptstadt heißt ja jetzt anders. Mein Großvater ist von China dorthin ausgewandert. Also seid ihr "retornados"? Ach, "retornados", grummelt er, das bedeutet doch Rückkehrer. Wie kann ich einer sein, wenn ich vorher nie in Portugal gewesen war? Stimmt auch wieder. Genau. (Sabine Scholl, ALBUM, 19.9.2021)