Es ist eine Erzählung, die sich seit über fünfzig Jahren hartnäckig hält – dabei wurde sie sogar von jenen, die dabei waren, als falsch bezeichnet: die Erzählung, Yoko Ono habe die Beatles zerstört.

Von Tag eins an war die neue Freundin und spätere Frau von Sänger und Gitarrist John Lennon für viele das Hassobjekt schlechthin. Die sexistischen und rassistischen Vorwürfe gegen Ono: Sie sei eine manipulative "Hexe", eine unnahbare "Drachenlady" und lüge. Auch aufgrund ihrer Herkunft war die japanische Künstlerin rassistischen Angriffen ausgesetzt, Lennon musste sie gar vor handgreiflichen Fans beschützen, heißt es. Als sich die Band im Jahr 1970 – ein Jahr nach der Hochzeit von John und Yoko – trennte, wurde sie von Medien und Fans als Ursache dafür dargestellt.

Doch bei dieser Lesart werden einige Fakten ausgeblendet. Erstens: Lennon, Paul McCartney und George Harrison haben öffentlich gesagt, dass Ono nicht diejenige gewesen sei, wegen der sich die Beatles aufgelöst haben. Als Lennon 1971 zusammen mit Ono in der "Dick Cavett Show" zu Gast war, sagte er: "Sie hat die Beatles nicht getrennt, denn wie kann ein Mädchen oder eine Frau die Beatles zerstören? Sie sind von selbst auseinandergedriftet." Einen besonderen Moment habe es dafür nicht gegeben.

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Knapp 40 Jahre später fühlte sich McCartney immer noch berufen, den Mythos ein für alle Mal zu begraben. "Sie hat sicher nicht die Gruppe auseinandergebrochen. Die Gruppe ist selbst auseinandergebrochen", sagt der Ex-Beatle 2012 in einem Fernsehinterview von David Frost. Weitere sechs Jahre später war das Thema immer noch nicht vom Tisch: McCartney brach in einem Interview mit Howard Stern eine Lanze für Ono – und sah die Ursache in Lennon.

The Howard Stern Show

Letztlich hat auch Ono selbst mehrmals betont, etwa im Interview mit dem Magazin "Rolling Stone", dass niemand von außen so starke Persönlichkeiten, wie es die vier Beatles waren, zu einer Trennung bewegen könnte. "Da muss etwas in ihnen selbst passiert sein."

Symptom der Trennung, nicht Ursache

Die Aussagen legen nahe: Ono war vielmehr Symptom der Trennung als deren Ursache. In der Band kriselte es schon, bevor sie dazukam. Zu dem Zeitpunkt, als McCartney bei einer Pressekonferenz zu seinem neuen Album quasi in einem Nebensatz die Auflösung der Beatles bekanntgab, hatte bereits jeder Beatle mindestens einmal seinen Rückzug aus der Gruppe bekanntgegeben. Sie stritten sich über die Zukunft der Band, mögliche Konzerte, über das Songwriting, fehlende Wertschätzung. Gekränkte Egos, Drogenprobleme und eigene Platten taten ihr Übriges.

Doch nicht nur das: Neben der Band geriet das ganze System ins Wanken, als Manager Brian Epstein 1967 an einer Überdosis starb. Es entbrannte ein weiterer Streit – darüber, wer die Band künftig managen soll und wer sich um die Produktionsfirma Apple Corps kümmert. Es ging finanziell bergab. Schließlich wickelte Allen Klein – der unter anderem mit den Rolling Stones zusammengearbeitet hatte, aber wegen unsauberer Steuergeschichten aufgefallen war – Lennon um den Finger. Und dieser stimmte ohne die anderen Beatles zu, dass er das Management der Band und die Geschäfte von Apple Corps übernimmt. McCartney unterzeichnete den Vertrag nicht, die Grabenkämpfe in der Band hielten an.

Da diese finanziellen Machenschaften im Hintergrund abliefen und erst später darüber berichtet wurde, war es der kürzeste Schritt, den Grund für das Aus der Fab Four in der einzigen Frau, die sichtbar in der Öffentlichkeit war – und kein gutes Standing bei den Fans hatte –, zu sehen.

Ono als dämonische Verführerin

Zweitens werden John Lennon in diesem Narrativ kaum eigene Gefühle zugesprochen. Als würde er der "dämonischen Verführerin", der "manipulativen Hexe" hilflos ausgesetzt sein. Für das Stereotyp der schuldtragenden Frau gibt es sogar einen eigenen Namen: den Yoko-Effekt. Auch wenn Ono gar nicht die erste und einzige Frau ist, die als Verantwortliche für die Entscheidungen und Handlungen des Mannes herhalten muss.

Stets in Schwarz oder Weiß gekleidet: Yoko Ono galt und gilt immer noch für viele Beatles-Fans als "manipulative Hexe".
Foto: Newald

Dieses Narrativ ist genauso im biblischen Sündenfall zu finden, wo Eva als Verführerin dafür verantwortlich gemacht wird, dass Adam und sie aus dem Paradies geworfen werden. Aber auch bei Lilith, der ersten Frau Adams, oder Pandora in der griechischen Mythologie findet sich diese Argumentationslinie.

Neue Erzählungen aus Interviews und Biografien deuten darauf hin, dass Lennon sehr wohl wusste, was er tat und wollte. "Er wollte, dass ich Teil der Band bin. Und die anderen sollten das akzeptieren, weil er die Band gegründet hatte. Ich wollte nicht unbedingt ein Teil von ihnen sein", sagte Ono später. Er sei es gewesen, der darauf bestand, dass Ono mit ins Studio kam, sich einbrachte, ihn überallhin begleitete oder für ihn sprach.

Und sich damit auch heuchlerisch verhielt: Denn bis die beiden zusammenkamen, machte gerade Lennon einen Aufstand, als ihr Manager jemanden mit zur Aufnahme brachte. Er war es, der keine Externen im Studio haben wollte. Und dann soll ausgerechnet auf einmal die Freundin vom Bandleader mitsprechen dürfen? Das sorgte verständlicherweise für Streit. Doch Ono blieb. Und mit ihr kamen neue, avantgardistische Einflüsse.

Frau ohne eigene Identität

Und drittens wird in dem verbreiteten Narrativ Ono ihrer Identität als Künstlerin beraubt und nur als Lennons Frau beziehungsweise "böse Hexe im Beatles-Märchen" dargestellt, die Verantwortliche, die für das Ende der Beatles herhalten muss. Für viele ist sie auch einfach nur John Lennons "ewige Witwe".

"Sie ist die berühmteste unbekannte Künstlerin der Welt: Jeder kennt ihren Namen, aber niemand weiß, was sie macht", so beschrieb John Lennon seine Frau in einem Interview. Dabei war sie bereits mit ihren Performances und ihrer Fluxuskunst eine anerkannte Künstlerin in der Szene – lange bevor sie Lennon kennenlernte.

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Bed-in für den Frieden statt Flitterwochen.
Foto: AFP / picturedesk.com

Natürlich hatte sie damit Einfluss auf die Beatles – besonders auf Lennon. Ono war beispielsweise an "Revolution 9" beteiligt und beeinflusste die Songs "Happiness is a Warm Gun", "Don't Let Me Down", "I Want you (She's So Heavy)" oder "The Ballad of John and Yoko". Sie gründete mit Lennon die Plastic Ono Band, machte mit ihm die berühmten Bed-ins gegen den Vietnamkrieg und politische Aktionen für den Weltfrieden.

Sie bestärkte ihn, zeigte ihm neue Perspektiven, er interessierte sich für ihre Kunst, sagte etwa McCartney später. Doch den Applaus und die Credits bekam sie dafür nicht, sie flog stets unter dem Radar ihres Mannes – mitunter auch auf sein Wirken hin. Erst Jahrzehnte nach der Veröffentlichung wurde Ono offiziell als Co-Autorin von "Imagine" anerkannt. Er sei "ein bisschen egoistischer und etwas mehr Macho gewesen", begründet Lennon in einem Archivvideo, wieso er Onos Beteiligung nicht erwähnt hatte.

Dass der Hass gerade die Frau trifft, ist nicht überraschend. Noch dazu auch als asiatischstämmige Künstlerin – von denen es damals noch wenige in der Öffentlichkeit gab. Ono arbeitete als künstlerische Aktivistin, als Aktionistin in einem sehr männerdominierten Bereich. Die 88-Jährige gilt heute als eine der Pionierinnen feministischer Performance-Kunst. Als Vorreiterin ist man schnell Zielscheibe – während ihr Mann als gottgleiches Genie galt und seine toxischen Eigenschaften, unkontrollierbaren Handlungen im Drogenrausch verklärt wurden. Es war der einfachste Weg, sie als Grund für die Trennung der Beatles zu sehen. (Selina Thaler, 24.9.2021)